Sofia Coppola

Die Verführten

Alicia (Elle Fanning), Martha Farnsworth (Nicole Kidman) und Edwina Dabney (Kirsten Dunst). Foto: Universal Pictures International Germany
(Kinostart: 29.6.) Ein Kriegsfilm ohne Krieg: Sofia Coppola erzählt den Schrecken des US-Bürgerkriegs aus der Sicht von sieben Frauen, die einen Soldaten im Mädcheninternat verarzten – und verführen. Ein packendes Psychodrama über die Ambivalenz von Moral.

Leichter Wind rauscht durch den Wald; Vögel zwitschern leise im Akkord. Ein Mädchen im weißen Kleid singt zufrieden vor sich hin und tänzelt über den Boden, auf den die Sonne verspielte Schattenmosaike wirft. Wie ein Märchen lässt Regisseurin Sofia Coppola ihren Film „Die Verführten“ beginnen – und sofort ist klar: Hier kann etwas nicht stimmen, denn da, wo das Gute und Schöne dominiert, lauert stets der Schrecken. Immerhin spielt der auf dem gleichnamigen Roman (1966) von Thomas Cullinan basierende Film im Jahr 1864, dem Höhepunkt des US-amerikanischen Sezessionskriegs.   

 

Info

 

Die Verführten

 

Regie: Sofia Coppola,

93 Min., USA 2017;

mit: Colin Farrell, Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Elle Fanning

 

Website zum Film

 

Und dann ist es auch schon soweit. Als das Mädchen hinter einem Baum ein paar Pilze pflückt, entdeckt sie einen Mann in Soldatenuniform. Doch es ist falscher Alarm. John McBurney ist zwar ein yankee und gehört in Virginia damit zu den „Feinden“, aber er ist schwer am Bein verletzt und unbewaffnet. Ihrem christlichen Reflex der Nächstenliebe folgend, lädt die 12-jährige Amy (Oona Laurence) ihn ein, mit in das nahe gelegene Mädcheninternat zu kommen. Da könne man ihm helfen.

Furcht und Bewunderung

In der prunkvollen Villa am Fuße des Waldes erwarten den Soldaten vier addrett gekleidete Mädchen, die Leiterin Miss Martha (Nicole Kidman) und die Lehrerin Edwina (Kirsten Dunst). Mit einer Mischung aus Furcht und Bewunderung schauen sie den Verletzten an, kommen aber schnell zu Schluss, ihn zu verarzten und versprechen ihm, solange bleiben zu dürfen, bis die Wunde verheilt ist.

Offizieller Filmtrailer


 

Sachzwänge des Krieges

 

Bereits nach dem ersten Tag beginnt McBurney, der sich in seiner Rolle als einziger Mann unter sieben Frauen sichtlich wohlfühlt, sie mit subtil höflicher Art zu umgarnen, insbesondere Edwina. Eines Tages nimmt McBurney ihre Hand. Sie errötet und schaut verlegen weg. Jener, an Kitsch kaum zu überbietender Moment ist eine Schlüsselszene. Sie offenbart, was sich hinter der der brüchigen Normalität verbirgt: die Sehnsucht nach Freiheit und Menschlichkeit, die von den Zwängen des Kriegs längst unterdrückt wurden.

So war der auf die politische Spaltung zwischen den Nord- und den Südstaaten zurückgehende Konflikt vor allem auch ein Bürgerkrieg. Da keine der beiden Seiten eine stehende Armee hatte, waren die meisten Soldaten Freiwillige: Die blau uniformierten Soldaten des Nordens kämpften gegen die grau gekleideten Truppen des Südens. McBurney, der sich für 300 US-Dollar im irischen Dublin anheuern ließ, ist für die Frauen Sehnsuchtsobjekt und Feind zugleich; er steht quasi zwischen den Parteien. Dass da draußen Tausende von Menschen sterben, ist weniger sichtbar – und wird zudem von einer Mauer aus Höflichkeit und viktorianischer Frigidität verborgen – als vielmehr hörbar. So wird die Stille der Natur regelmäßig vom entfernten Donnern der Gewehr- und Kanonenschüsse durchlöchert.  

 

Sehr lange Einstellungen

 

Geradezu genüsslich kostet die Regisseurin jene sich langsam aufbauende Spannung in langen, ausgedehnten Einstellungen aus, in denen die Dialoge mitunter in eine zynische Komödienhaftigkeit abdriften. Das erinnert mitunter an ihren Film „Somewhere“ von 2010, in dem ein Hollywood-Star wie betäubt durch ein Luxusleben flaniert. Auch diesmal verlangt Coppola dem Betrachter eine quälende, wenn auch unterhaltsame Wartehaltung ab, während symbolische Dichotomien – die weißen Kleider der Frauen und ihre vermeintlich düsteren Seelen oder die dunklen Haare McBurneys und seine vermeintliche Harmlosigkeit – vom unausweichlichen Herannahen der Klimax künden. 

 

Als die inzwischen sichtlich verliebte Lehrerin Edwina eines Tages McBurney mit der ältesten Schülerin Alice (Elle Fanning) im Bett erwischt, stößt sie ihn die Treppe herunter, woraufhin die Wunde am Bein wiederaufreißt. Miss Martha reagiert schnell und trifft eine verhängnisvolle Entscheidung. Sie amputiert das Bein –was medizinisch sehr fragwürdig erscheint. Der Krieg, der von allen Akteuren bislang gut verdrängt wurde, ist jetzt auch hier angekommen.

 

Moralische Ambivalenz

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Bling Ring" über jugendliche Hollywood-Kriminelle von Sofia Coppola

 

und hier einen Bericht über den Film "The Lobster" - raffinierte Paarungs-Parabel von Giorgos Lanthimos mit Colin Farrell

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Birth of a Nation" - Historienfilm über einen US-Sklavenaufstand 1831 von Nate Parker.

 

McBurney wacht am nächsten Tag mit lauten Schmerzensschreien auf; er verwandelt sich vom hilflosen gentleman in einen jähzornigen Invaliden. Überzeugt davon, die Entfernung des Beines sei ein reiner Racheakt, bedroht er seine Gastgeberinnen mit einer Pistole.

 

Das nun zerstörte Vertrauen, das jetzt weitere Verheerungen nach sich zieht, steht symbolisch für das moralische Niemandsland aka Krieg. Coppolas in wohlkomponierten Bildern und ausgesuchten Requisiten gedrehter Historien-Film ist kein requiem, das den ersten maschinellen Krieg mit mehr als einer halben Million Opfern beklagt, sondern eine gelungene Parabel über die Wurzeln von Gewalt – und die Ambivalenz von Moral.

 

Risse im System

 

Er macht sichtbar, wie Menschen sich zu Gewalt verführen lassen, sobald sie diese als letzte Möglichkeit des Überlebens erachten. „Die Verführten“ ist ein leiser, aber böser Horrorfilm, der lange nachhallt. Weil er die Schrecken des Krieges nicht anhand epischer Schlachtszenen transportiert, sondern über die kleinen, tiefen psychologischen Risse im menschlichen System namens Seele.