Vom griesgrämigen messie zum womanizer in 99 Minuten: Monsieur Pierre (Pierre Richard) erlebt im Eiltempo seinen dritten Frühling. Eigentlich hat sich der rüstige Witwer behaglich im Dahindämmern eingerichtet; er hockt in seiner Pariser Etagenwohnung, lässt seine resolute Tochter Sylvie (Stéphane Bissot) den Kühlschrank füllen und verbringt seine Tage mit dem Anschauen alter Super-Acht-Filme mit seiner verstorbenen Frau.
Info
Monsieur Pierre geht online
Regie: Stéphane Robelin,
99 Min., Frankreich/ Deutschland/ Belgien 2017;
mit: Pierre Richard, Yaniss Lespert, Fanny Valette
Beider Vorzüge in einer Person
Bis Pierre auf eigene Faust die Wunderwelt der online dating-Portale entdeckt: Rasch hat er sich mit Alex‘ Passbild ein Avatar-Profil als „Pierre98“ zugelegt. Flugs betört er die attraktive „Flora63“ mit charmanten emails, schon vereinbaren sie das erste date – in Brüssel, wo die 31-jährige Physiotherapeutin wohnt. Damit Pierres Tarnung nicht auffliegt, schickt er Alex als seinen Stellvertreter vor; der verguckt sich ebenfalls in die gefühlvolle Brünette. Flora (Fanny Lavette) hätte nun gern die Vorzüge von beiden in einer Person: mit Pierres esprit und Alex‘ Körper.
Offizieller Filmtrailer
Cyrano de Bergerac für heute
Die literarische Figur des kaum vorzeigbaren Verehrers, der einen Anderen vorschickt oder benutzt, zählt seit der Antike zum europäischen repertoire. Am einfachsten haben es Götter: Jupiter nimmt in „Amphitruo“ vom römischen Komödien-Dichter Plautus die Gestalt des verreisten Titelhelden an, um dessen Gattin Alkmene zu vernaschen. Ein französischer Klassiker ist das Versdrama „Cyrano de Bergerac“ (1897) von Edmond Rostand: Der Poet Cyrano schämt sich seiner Nase so sehr, dass er sich seiner Angebeteten nur per Brief zu nähern wagt.
Die hält den überbringenden Boten für den Autor der geistreich romantischen Zeilen – und erhört ihn prompt. Den bis heute populären Stoff – 1990 mit Gérard Dépardieu sehr erfolgreich verfilmt – überträgt Regisseur Stéphane Robelin kaum verändert in die Gegenwart. Was seinem Film in Frankreich, wo Rostands Drama Schullektüre ist, einen Wiedererkennungs-Effekt sichert, aber kaum zum zeitgenössischen setting passt.
Komödie über Alten-WG 2011
Regisseur Robelin hat ein faible für ergraute Herrschaften. 2011 ließ er in seiner famosen Komödie „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ vier 70-Jährige gemeinsam eine Alten-WG gründen – und dabei all die Streitereien und Eifersüchteleien durchleben, die in Wohngemeinschaften so auftauchen. Das war pointiert, warmherzig und lebensnah auf den demographischen Wandel ausgerichtet – ein Meisterstreich.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste" - französische Sozial-Komödie von Alexandra Leclère
und hier einen Bericht über den Film "Die schönen Tage" - sinnliches Mehrgenerationen-Liebesdrama von Marion Vernoux mit Fanny Ardant
und hier einen Beitrag über den Film "Und wenn wir alle zusammenziehen?" - charmante Alten-WG-Komödie von Stéphane Robelin mit Pierre Richard.
Wie in Parship-Werbung
Auch die übrigen Mitwirkenden passen nicht recht zu ihren Charakteren. Der Alex von Yaniss Lespert kommt als leicht teigige Trantüte daher; viel zu phlegmatisch, um sich gegen das Herumgeschubstwerden zu wehren. Wie dieser Waschlappen der melodramatisch leidenschaftlichen Flora und zuvor der zickigen Juliette den Kopf verdrehen soll, bleibt ziemlich rätselhaft. Zumal deren Mutter Sylvie ständig als kontrollsüchtige Wuchtbrumme dazwischenfunkt.
Am wenigsten überzeugt aber, wie Regisseur Robelin das internet darstellt: fünf Mausklicks, ein upload, und – schwupps! – ist Opa Pierre am Ziel seiner erotischen Wünsche. Keine Spur von Massenmails und spam, fake-Profilen und Trojanern. Alles läuft so glatt wie bei der Parship-Werbung, in der sich „alle elf Minuten ein single“ in den Traumpartner auf dem Reklameplakat verliebt. Dass online dating ganz andere Konventionen kennt, Strategien des Umgarnens erfordert und Frustrationen hervorruft als die offline-Welt, davon weiß und zeigt dieser Film nichts. Da sieht „Monsieur Pierre“ ganz schön alt aus.