Judi Dench

Victoria & Abdul

Queen Victoria (Judi Dench) mit dem jungen indischen Bediensteten Abdul Karim (Ali Fazal). Foto: © Focus Features. Fotoquelle: Universal Pictures International Germany
(Kinostart: 28.9.) Culture Clash am Königshof: Queen Victoria machte einen Inder zum persönlichen Diener und engen Vertrauten. Diese Episode verfilmt Stephen Frears als kitschfrei beschwingten Feelgood-Historienfilm – mit einer fabelhaften Judi Dench.

Es fängt an wie die letzte Legislaturperiode von Angela Merkel: Die Monarchin hat ihre entourage aus Beratern und Lakaien gründlich satt, klebt aber an ihrem Thron. Gelangweilt bis missmutig lässt Königin Victoria (1819-1901) die täglichen Rituale bei Hofe über sich ergehen: das Ankleiden, die Amtsgeschäfte und die aufwändigen Mahlzeiten – bei denen sie alle Gänge so rasch in sich hineinschaufelt, dass Tischgenossen kaum zum Essen kommen. Sobald die Queen (Judi Dench) fertig ist, werden auch ihre halbvollen Teller abgeräumt.

 

Info

 

Victoria & Abdul

 

Regie: Stephen Frears,

112 Min., Großbritannien/ USA 2017;

mit: Judi Dench, Ali Fazal, Eddie Izzard

 

Website zum Film

 

Beim prächtigen Festmenü zum goldenen Thronjubiläum 1887 fällt ihr ein Bediensteter besonders auf: Der stattliche Hindu Abdul Karim (Ali Fazal) ist gemeinsam mit einem untersetzten Landsmann eigens für diesen Anlass eingeschifft worden, um der „Kaiserin von Indien“, so ihr offizieller Titel seit 1876, eine Gedenk-Medaille zu überreichen. Die Münze ist ihr egal, nicht aber der Überbringer. Victoria holt ihn in ihre Nähe und befördert ihn zu ihrem persönlichen Diener – das ist der Beginn einer wundervollen Freundschaft.

 

Her Majesty’s favourite film director

 

So suggeriert es dieser opulente Kostümfilm von Regisseur Stephen Frears, der raffiniert die Mitte zwischen detailgetreuem Historienfilm und charmanter feelgood comedy hält. Damit wird der Brite wohl endgültig zu Her Majesty’s favourite film director: Schon in „The Queen“ hatte Frears 2006 die amtierende Monarchin Elizabeth II., gespielt von Helen Mirren, als lernfähige Landesmutter mit kleinen Schwächen porträtiert. Nun nimmt sich Frears also eine pikante Episode aus dem Leben ihrer Ururgroßmutter vor.

Offizieller Filmtrailer


 

Judi Dench als „Ihre Majestät Mrs. Brown“

 

Wobei diese special relationship verbürgt ist – und sie war nicht die einzige. Nach dem Tod ihres Gatten Prinz Albert 1861 verfiel Victoria in tiefe Trauer; den Rest ihres Lebens sollte sie ein halbes Jahrhundert lang nur Witwenkleidung tragen. Ihre Niedergeschlagenheit milderte ihr schottischer Diener John Brown, der ab 1864 zu ihrem Vertrauten aufstieg: Bei seinem Tod 1883 beklagte sie den Verlust eines „engen Freundes“. Ihr beider Verhältnis hat Regisseur John Madden 1997 verfilmt: unter dem Titel „Ihre Majestät Mrs. Brown“, wie Spötter die Königin damals nannten – ebenfalls gespielt von Judi Dench.

 

Insofern ist sie auf ihre jetzige Rolle bestens vorbereitet; und sie macht ihre Sache gewohnt fabelhaft. Wie die amtsmüde und angeödete Victoria in Abduls Gegenwart stets rasch aufblüht und ihn rigoros gegen alle Anwürfe von Neidern in Schutz nimmt, ist schlicht herzergreifend mit anzusehen. Auch wenn Ali Fazal etwas süßlich liebedienerisch und ehrerbietig auftritt – wobei er sie durchaus hinters Licht führt.

 

Sekretär + Rhetorik-Lehrer der Queen

 

Hintergrund

 

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und hier einen Bericht über den Film "Mitternachtskinder" – grandiose Verfilmung des Roman-Epos von Salman Rushdie über Folgen von Indiens Teilung 1947 durch Deepa Mehta.

 

Er gaukelt ihr vor, der indischen Aristokratie zu entstammen. Dabei war er nur einfacher Schreiber im Gefängnis von Agra, wo sein Vater als traditioneller Heiler wirkte; als der Schwindel auffliegt, kostet das Abdul fast seine Stellung. Doch er beherrscht fließend Hindustani und die muslimische Version Urdu in Wort und Schrift samt ihrer klassischen Literatur.

 

Beides will die Königin erlernen; dafür verleiht sie ihm den Titel „The Queen’s Munshi“ (Sekretär und Rhetorik-Lehrer). So wird er ihr Türöffner zum exotischen Kosmos der indischen Kultur, der Victoria sehr interessiert; sie beschäftigt sich mit Hindi-Riten und schwärmt für Curry-Gerichte. Aus der Ferne: Gesehen oder betreten hat sie das „Kronjuwel des britischen Empire“ nie.

 

Lektion in Kunst der Privatsphäre

 

Da liegen Parallelen zu heutigen Wanderungsbewegungen und culture clash-Erfahrungen auf der Hand. Inmitten von pomp and circumstances deutet Regisseur Frears derlei dezent an: Wackelpudding aus Rinder-Gelatine und schottische Dudelsack-Tanzabende in kratzigen Wollpullovern wirken auf Abdul mindestens ebenso fremdartig wie seine bunt schillernden Turbane und Hindi-Schriftzeichen auf das Gefolge der Königin.

 

Doch der eigentliche Akzent liegt auf der Einsamkeit der Macht. In der Schlangengrube ihrer Paläste kann Victoria keinen Satz sagen oder Schritt gehen, ohne dass es vom Hofstaat beobachtet, kommentiert und weitergetratscht würde. Alle buhlen dauernd um ihre Aufmerksamkeit und Gunst – aber niemand nimmt an ihr als Privatperson Anteil. Außer Abdul, weil er abseits von Traditionen und Hierarchien nur mit ihr als wohlwollender Gönnerin verbunden ist. So wird ihre Freundschaft zu einer diskreten Lektion in der Kunst, angesichts allgegenwärtiger Überwachung sich Privatleben und Intimsphäre zu bewahren.