Peter Lorre

Der Verlorene

Dr. Karl Rothe, alias Dr. Karl Neumeister (Peter Lorre). Fotoquelle: Filmmuseum Düsseldorf
Schuld und Sühne im Flüchtlingslager: 1951 griff der Schauspieler Peter Lorre die Verstrickung in NS-Verbrechen auf. Seine einzige Regiearbeit, damals ein Flop, gilt heute als Meisterwerk - das Filmmuseum Düsseldorf zeigt es am 14. November.

Im Nachkriegsdeutschland wurden NS-Verbrechen und der Holocaust vielfach totgeschwiegen, um die historische Wahrheit und Schuldgefühle zu verdrängen. Dieses kollektive Schweigen spießte der damals berühmte Schauspieler Peter Lorre 1951 auf. „Der Verlorene“ war seiner Zeit voraus; der Film gewinnt derzeit neue Aktualität angesichts von wieder erstarkendem Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

 

Info

 

Der Verlorene

 

Regie: Peter Lorre,

98 Min., Deutschland 1951

mit: Peter Lorre, Karl John, Helmuth Rudolph

 

Weitere Informationen

 

Vorführung im Filmmuseum Düsseldorf

 

Hauptfigur ist der Serumforscher Dr. Karl Rothe, gespielt von Lorre selbst. 1943 erfährt er, dass seine Frau ein Verhältnis mit seinem NS-Kollegen Hösch hat; außerdem verriet sie seine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse an die Alliierten. Im Affekt erwürgt er seine Frau. Diese Tat wird von den Nazis vertuscht, weil Rothe für staatliche Stellen wichtige Experimente durchführt. Aus Lebensekel begeht er einen zweiten Mord. Nach Kriegsende trifft er in einem Flüchtlingslager wieder auf den opportunistischen Hösch, der sich jetzt Nowak nennt; ihre Aussprache findet ein blutiges Ende.

 

An der Seite von Humphrey Bogart

 

Diese erste Regiearbeit von Peter Lorre bleibt auch seine einzige: Der Film erhielt gemischte Kritiken, lief nur zehn Tage in den bundesdeutschen Kinos und war ein finanzieller Misserfolg. In den USA fand er überhaupt keinen Verleih – was für Lorre umso schmerzlicher gewesen sein dürfte, als er dort ab 1935 lebte. In Hollywood hatte er große Erfolge gefeiert: So spielte er an der Seite von Humphrey Bogart in den Schwarze-Serie-Klassikern „Die Spur des Falken“ (1941) und „Casablanca“ (1942) mit. Allerdings war Lorre auf das Stereotyp moralisch zwielichtiger Figuren festgelegt: Von diesem Erfolgsmodell wollte Warner Bros. nicht abweichen.

Auszug aus dem Film


 

Bezug zu „M – Ein Stadt sucht einen Mörder“

 

Mit „Der Verlorene“ versuchte Lorre, wieder an seine Vorkriegs-Karriere in Europa anzuknüpfen: Ihm gelang ein Meisterwerk über Schuld und nicht mehr mögliche Sühne. Dabei bezog er sich ganz bewusst auf „M – Ein Stadt sucht einen Mörder“; dieser Serienmörder-Krimi von Fritz Lang mit Lorre in der Hauptrolle hatte ihn 1931 zum Star gemacht. Er sah offensichtlich Analogien zwischen der Endphase der Weimarer Republik und Deutschland in der Kriegs- und Nachkriegszeit.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Fritz Lang" - Dokudrama von Gordian Maugg über die Entstehung des Klassikers „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ mit Peter Lorre

 

und hier eine Besprechung des Films "Von Caligari zu Hitler – Das deutsche Kino im Zeitalter der Massen" - Essay-Film über Stummfilm-Klassiker der 1920er Jahre von Rüdiger Suchsland

 

und hier einen Beitrag über den Film "Jeder stirbt für sich allein" - Verfilmung des Roman von Hans Fallada über Widerstand + NS-Verfolgung durch Vincent Pérez.

 

Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit, die Lorre von einem US-Journalisten erfahren hatte: Ein Arzt wird zum zweifachen Mörder. Das moralische Chaos der Epoche zerstört sein inneres Gleichgewicht und treibt ihn in eine Täterschaft, die Lorre behutsam analysiert. Er klagt nicht wütend die Schuld der Täter an, sondern entlarvt ihre Lügen und Verbrechen durch düstere Stilmittel, die von expressionistischen Zügen geprägt sind.

 

Psychologie der Nazizeit

 

Zentral ist dabei sein Blick auf die NS-Propaganda: Sie infiltrierte auch apolitische Bürger mit ihrer Ideologie, machte sie zu Mitwissern und trieb sie zur Mittäterschaft an barbarischen Taten. Das wird deutlich am düsteren Schauplatz eines Flüchtlingslagers, in dem Dr. Rothe mit seiner belasteten Vergangenheit konfrontiert wird. In vielen Rückblenden wird seine Geschichte aufgerollt: Die Serienmörder-Figur dient letztlich dazu, die Komplexität der psychologischen Wirkung des NS-Regimes darzustellen.

 

Ein Gastbeitrag von Thomas Ochs, Filmmuseum Düsseldorf