Düsseldorf

Art et Liberté – Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten (1938-1948)

Fouad Kamel: Untitled (Detail), Öl auf Karton, 70,5 x 50 cm, ca. 1950, Privatsammlung. Foto: © Kunstsammlung NRW/ IKS Medienarchiv
Es lebe die entartete Kunst: 1938 formierte sich in Kairo die radikale Avantgarde-Gruppe "Art et Liberté". Ihren mitreißend vitalen Surrealismus voll expressiver Energie stellt die Kunstsammlung K 20 erstmals hierzulande vor – eine echte Entdeckung.

Wo ist eigentlich die klassische Moderne zuhause? Lange schien das eine ziemlich überschaubare Weltgegend zu sein: in Westeuropa mit den Metropolen Paris, Berlin und einem Ableger in Sankt Petersburg, etwas später auch in New York und anderen US-Großstädten samt ein paar Außenposten in Lateinamerika. Diese Zentren machten untereinander aus, was als moderne Kunst gelten durfte; der Rest der Welt ahmte nach.

 

Info

 

Art et Liberté - Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten (1938-1948)

 

15.07.2017 - 15.10.2017

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

am Wochenende ab 11 Uhr

im K 20, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Grabbeplatz 5, Düsseldorf

 

Katalog 35 €

 

Weitere Informationen

 

Seit einiger Zeit wird klar, wie beschränkt diese Sichtweise ist. Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es in vielen Ländern Künstler, die Impulse der internationalen Avantgarde aufnahmen und auf spezifisch regionale Weise verarbeiteten: Sie brachten einen ‚eigenständigen Beitrag zur Moderne‘ hervor, so die kanonische Formel. Eine besonders originelle Variante führt diese Wanderausstellung vor; nach Stationen in Paris und Madrid wird sie derzeit in Düsseldorf gezeigt, bevor sie noch in Liverpool und Stockholm zu sehen sein wird.

 

Über Europa bestens informiert

 

„Art et Liberté“ lautete der Name einer Gruppe junger ägyptischer Künstler, die sich 1938 in Kairo formierte. Sie einte der Protest gegen folkloristisch-naturalistische Salonmalerei und das Bekenntnis zu einem politisch engagierten, antifaschistischen Surrealismus: „Es lebe die entartete Kunst“, betitelten sie ihr Gründungsmanifest. Dabei wollten sie an vorderster Front mitmischen; über die aktuelle Lage und Kunstströmungen in Europa waren sie bestens informiert.

Statements von Kuratorin Doris Krystof + Impressionen der Ausstellung; © IKS Medienarchiv


 

Subjektiver Realismus soll verständlich sein

 

Viele von ihnen entstammten großbürgerlichen Familien mit ausländischem Elternteil; dazu kamen europäische Emigranten. Meist waren sie mehrsprachig erzogen worden oder hatten eine westliche Ausbildung erhalten: so etwa Georges Henein (1914-1973), informeller Kopf der Gruppe. Sein Vater war koptisch-christlicher Diplomat, seine Mutter Italienerin. Er wuchs in vier verschiedenen Ländern auf, studierte an der Sorbonne und war mit dem Surrealismus-Vordenker André Breton befreundet; der ermunterte ihn zur Gründung von „Art et Liberté“.

 

Den kosmopolitischen Kreativen von Kairo war jedoch der europäische Surrealismus zu zahm. Entweder sei er ausgeklügelt konstruiert wie auf Gemälde von Dalì oder Magritte und lasse keinen Raum für Imagination, bemängelte der Maler Ramses Younane (1913-1966): Oder er sei beim automatisierten Schreiben und Zeichnen, den cadavres exquis, so ich-fixiert, dass er kaum zur kollektiven Emanzipation tauge. Younane forderte einen „subjektiven Realismus“, der aus dem Unbewussten schöpfe, dessen Symbole aber allgemein verständlich seien.

 

Rau + grobkörnig mit harschen Kontrasten

 

Das gelang seinen Mitstreitern auf eindrucksvolle Weise. Im Vergleich zur akademisch glatten Malweise etlicher europäischer Surrealisten erscheint die ihrer ägyptischen Kollegen eher rau und grobkörnig, fast schon ungeschlacht. Was aber die Wirkung ihrer Bilder nicht mindert, im Gegenteil: Sie springen den Betrachter mit ihrer Energie geradezu an – oft expressiv verstärkt durch harsche Kontraste zwischen Hell und Dunkel, Fülle und Leere. Das erinnert eher an Ernst Ludwig Kirchner oder Emil Nolde als an Magritte, Miró oder Yves Tanguy.

 

Da wird sofort deutlich: Diesen Künstlern brennen ihre Anliegen auf den Nägeln. Zumal der Zweite Weltkrieg auch in Ägypten die Spannungen verschärfte: Es war Aufmarschgebiet der britischen Armee, allein in Kairo – einer Stadt mit damals nur 1,5 Millionen Einwohnern –wurden 140.000 Soldaten stationiert. So schufen Samir Rafi (1926-2004), und die Syrerin Amy Nimr (1907-1974) Anti-Kriegs-Bilder, die an Drastik nichts zu wünschen übrig ließen: Nackte Fliehende werden von Lianen überwuchert, Unterwasser-Skelette sind von Fischen in giftigen Farben eingehüllt.

 

Zerstückelte Körper in inhumaner Welt

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "In den letzten Tagen der Stadt - In the Last Days of the City" – komplexes Porträt von Kairo und seiner Bewohner von Tamer El Said

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945-1965" – enzyklopädischer Epochen-Überblick mit Werken u.a. aus Ägypten im Haus der Kunst, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Traum-Bilder – Die Wormland-Schenkung" – mit Werken des Surrealismus von Max Ernst, René Magritte, Salvador Dalí u.a. in der Pinakothek der Moderne, München

 

und hier einen Bericht über den Film "Art War" - fulminante Doku über politische Street Art in Kairo als Teil der Arabellion von Marco Wilms.

 

Die Kriegswirtschaft ließ weite Kreise der Bevölkerung verelenden und beförderte die Prostitution; isolierte und malträtierte Frauen wurden zu häufig variierten Motiven. Fouad Kamel (1919-1973) lässt sehnige Torsi mit dorniger Vegetation verschmelzen, Kamel El-Telmisany (1915-1972) spickt sie mit Nägeln und Glasscherben. Ohnehin ist Defiguration eine gängige Bildmetapher für inhumane Verhältnisse: Körper werden ausgemergelt und in Teile zerlegt, neu zusammengesetzt oder komplett verwandelt. Auf leuchtkräftigen Gemälden transformiert die Malerin Inji Efflatoun (1924-1989) Gestalten in zerzauste Schlingpflanzen.

 

Es ist eine mitreißend vitale und bewundernswert eigenständige Kunst, die hier anhand von rund 200 Exponaten ausgebreitet wird. Dabei beschränken sich die Kuratoren nicht auf Malerei und Grafik, sondern ergänzen das mit Fotografien, Publikationen aus zwei Verlagen und ausgewählten Zeitdokumenten. So bieten sie einen mustergültigen Überblick über Wirken und Wirkung einer zwar kurzlebigen, aber sehr produktiven Künstlergruppe, die bislang in Europa kaum bekannt ist – geschweige denn ihre Bildsprache.

 

Verarmt + erfolglos

 

Was auch am glücklosen Ende von „Art et Liberté“ liegen mag: Nach ihrer Auflösung 1948 und dem Sturz der Monarchie durch General Nasser 1954 gingen viele Ex-Mitglieder ins Exil. Dort starben die meisten unbeachtet und verarmt; keiner hatte Erfolg im Kunstbetrieb. Diese Asymmetrie hat sich umgekehrt, aber ansonsten wenig geändert: Avantgarde-Künstler aus dem Maghreb finden Entfaltungsmöglichkeiten und Anerkennung eher im Westen als in ihren Heimatländern. General al-Sisi dürfte dafür sorgen, dass das in Ägypten so bleibt.