Das Filmplakat zeigt eine üppige Nackte inmitten einer nicht minder üppigen Vegetation. Stilistisch erinnerte das an Gemälde des naiven Malers Henri Rousseau, läge unter den Füßen der milde lächelnden Frau nicht der blutverschmierte Körper eines Mannes.
Solche Irritationen sind eine Spezialität des jungen Regisseurs Lukas Valentin Rinner, der vor etwa zehn Jahren aus Salzburg nach Buenos Aires ging, um dort Film zu studieren. Sein zweiter Spielfilm „Die Liebhaberin“ ist eine eigentümlich bitterböse Groteske, die ihre Widerhaken in die Sehnerven der Zuschauer bohrt.
Info
Die Liebhaberin
Regie: Lukas Valenta Rinner,
100 Min., Argentinien/ Österreich/Südkorea 2016;
mit: Iride Mockert, Martin Shanly, Andrea Strenitz
Menschliches Möbelstück
Als die Hausherrin Diana (Andrea Strenitz) sie einmal mitten in der Nacht weckt, weil sie nicht schlafen kann und Gesellschaft haben möchte, lässt Belén das ohne Widerstand über sich ergehen. Vom stets Tennis spielenden Sohn des Hauses (Martin Shanly) wird die Haushälterin behandelt, als sei sie ein Möbelstück. Mehr Aufmerksamkeit findet sie bei einem der Wachmänner (Mariano Sayavedra), doch leiden ihre Annäherungsversuche unter der beiderseitigen Verklemmtheit.
Offizieller Filmtrailer
Das Versprechen der Nacktheit
Eines Tages verlässt Belén das weitläufige Areal der gated community mit leeren Straßen und leblosen Grünflächen; zufällig entdeckt sie hinter einem offen stehenden Eisentor ein Nudistencamp. Beim Anblick der Nackten flieht sie zuerst panikartig, doch die faszinierende Gegenwelt lässt sie nicht mehr los. Irgendwann legt auch die junge Frau ihre Kleidung und später ihre Verklemmtheit ab. Belén richtet sich allmählich auf.
Die Utopie von der Befreiung durch Nacktheit wirkt etwas angestaubt, doch Regisseur Rinner belebt sie neu. Mit der Lebenswirklichkeit der meisten Argentinier haben die zwei entgegengesetzten Welten, in denen sich Belén bewegt, nichts zu tun. Allerdings wirkt das Versprechen von Gleichheit durch Nacktheit im Kontext des krassen sozialen Gefälles in Südamerika weit radikaler als im vergleichsweise egalitären Westeuropa.
Garten Eden oder Hölle?
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der Nobelpreisträger" - argentinische Culture-Clash-Komödie von Mariano Cohn + Gastón Duprat
und hier eine Besprechung des Films "Der Sommer mit Mamã - Que horas ela volta?" - sehr charmante Dienstmädchen-Tragikomödie aus Brasilien von Anna Muylaert
und hier einen Bericht über den Film "Paulista" – präzise authentischer Episodenfilm über Liebesglück und -leid in São Paulo von Roberto Moreira.
Im ebenso wild wuchernden wie ramponierten Garten Eden vertreiben sich Männer und Frauen die Zeit mit Lesen, Spielen, Baden, Gärtnern und allen möglichen Spielarten der freien Liebe. Ohne Scham voreinander leben sie im Einklang mit ihren Körpern. In Zeiten der medialen Allgegenwart von genormten Traumkörpern wirkt das Zeigen dieser normalen, quasi ungeschönten Körper der Protagonisten seltsam radikal.
Kollision am Elektrozaun
Doch weil es nun einmal kein Paradies auf Erden geben kann, kommt es zwangsläufig zur Kollision der beiden gegensätzlichen Welten der Reichen und der Nackten. Beide Parteien werden durch einen übermannshohen Elektrozaun getrennt, an dem sich der Konflikt entzündet. Er endet blutig; das Filmplakat legt es nahe.