Diane Kruger

Könnte den Film nicht nochmal sehen

Diane Kruger bei der Premierenfeier von "Aus dem Nichts". Foto: Warner Bros. Pictures Germany
Wenn Kino vom Leben nachgeahmt wird: In "Aus dem Nichts" spielt Diane Kruger eine Frau, die Mann und Sohn bei einem Attentat verliert. Während der Dreharbeiten starb völlig unerwartet ihr Stiefvater – das setzte ihr sehr zu, erzählt Kruger im Interview.

Frau Kruger, Sie haben kürzlich gesagt, der Film „Aus dem Nichts“ hätte Ihr Leben verändert. Wie ist das gemeint?

 

Das ist schwer zu beschreiben, aber durch diese Rolle war ich konfrontiert mit dem Leid und der Trauer anderer Menschen. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt und mir nicht nur eine schreckliche Geschichte im Fernsehen angesehen. Dadurch fühlte ich mich wirklich klein. Ich hoffe, dass mir so etwas nie passiert – aber der Wert des Seins ist mir sehr bewusst geworden.

 

Jeder von uns muss sich irgendwann von Angehörigen verabschieden. Glauben Sie, dass sich das anders anfühlt, wenn man geliebte Menschen durch eine Gewalttat verliert?

 

Info

 

Aus dem Nichts

 

Regie: Fatih Akin,

105 Min., Deutschland/ Frankreich 2017;

mit: Diane Kruger, Numan Acar, Ulrich Tukur, Denis Moschitto

 

Website zum Film

 

Ich habe bei Betroffenen meistens eine Art Wut beobachten können, aber auch Schuldgefühle. Viele machen sich Selbstvorwürfe und fragen sich: ‚Hätte ich nicht bei ihm oder ihr bleiben sollen?’ oder ‚Hätte ich an diesem Abend bloß gesagt: Geh’ mal nicht joggen!’ Diesen Vorwürfen setzen sich Hinterbliebene selbst aus.

 

In Ihrer Filmrolle als Katja Sekerci können Sie noch nicht einmal Abschied von ihrem Mann und Sohn nehmen…

 

 …weil es keine Körper mehr gibt; sie wurden durch die Explosion zerfetzt. Da gerät man in Rage und in Furcht, denn man stellt sich vor, wie die Personen vor dem Eintreten des Todes gelitten haben müssen.

Offizieller Filmtrailer


 

Aus der Dunkelheit herauskommen

 

Wie haben Sie Ihre Erfahrungen mit dem Tod verarbeitet, als Ihre Großmutter und danach Ihr Stiefvater im letzten Jahr gestorben sind?

 

Natürlich schmerzt es, aber meine Großmutter war 93 Jahre alt, als sie gestorben ist. Auch wenn das sehr traurig war, habe ich auch viele helle und schöne Erinnerungen an sie. Bei meinem Stiefvater war es anders: Er ist während der Dreharbeiten zu „Aus dem Nichts“ unerwartet gestorben. Keiner hatte damit gerechnet – in dieser Situation zu sehen, wie meine Mutter darunter litt, war für mich das Schlimmste.

 

Es war eine sehr dunkle Zeit. Ich habe den fertigen Film auch nur einmal gesehen und könnte ihn mir derzeit nicht noch einmal ansehen. Ich habe so lange gebraucht, um aus der Dunkelheit wieder herauszukommen. Das möchte ich nicht noch mal durchleben.

 

Keine Drehbücher mehr lesen

 

Was hat Ihnen geholfen, diese Dunkelheit hinter sich zu lassen?

 

Es ist das erste Mal, dass es mir so passiert ist, und ich war ein bisschen hilflos. Nach der Arbeit am Film habe ich mir einfach Zeit genommen. Ich las keine Drehbücher mehr, bin in New York umgezogen und verbrachte Zeit mit meiner Mutter, mit der ich in Urlaub gefahren bin. Ich lebte ganz normal, bis sich die dunkle Wolke von allein auflöste.

 

Im Film ist Attentat nebensächlich

 

Im Ausland ist man mit den NSU-Morden weniger vertraut als hierzulande. Was denken Sie, wie „Aus dem Nichts“ dort wahrgenommen werden wird?

 

Die Stärke des Films ist, dass er eine universelle Geschichte zum Thema Trauer erzählt; Terrorismus ist überall präsent. Neonazis gibt es nicht nur in Deutschland, doch eigentlich könnten die Attentäter auch Dschihadisten oder Amokläufer sein. Im Prinzip ist der Bombenanschlag nebensächlich. Im Film geht es vor allem um die Hinterbliebenen – über die wird viel zu wenig gesprochen.

 

NSU-Affäre im Ausland kaum Thema

 

Das alles ging Ihnen sehr nahe. Hätten Sie sich manchmal mehr Distanz zur Filmhandlung gewünscht?

 

Ich glaube nicht. Ich muss zugeben, dass ich mich wenig mit der NSU-Affäre beschäftigt habe. Weil ich im Ausland lebe, wo das kaum thematisiert wurde, habe ich auch nur wenig darüber erfahren. Was mich am Drehbuch fesselte, war meine Figur Katja. Denn ich kenne keine andere Geschichte, in der es darum geht, wie Hinterbliebene einer Gewalttat damit leben müssen. Natürlich verfolge ich aber jetzt in den Medien, wie der NSU-Prozess ausgeht.

 

Kenne deutsche Filmbranche nicht

 

Kaum zu glauben, aber „Aus dem Nichts“ ist tatsächlich der erste deutsche Film, in dem Sie mitspielen. Warum hat das so lange gedauert – erhalten Sie jetzt endlich mehr Filmangebote aus Deutschland?

 

Bis jetzt noch nicht, aber ich habe wirklich lange auf eine deutsche Rolle gewartet. Ich lebe seit 25 Jahren nicht mehr in Deutschland und habe hier auch keinen Agenten. Ich kenne also niemanden aus der deutschen Filmbranche. Jetzt hoffe ich, dass noch was nachkommt (lacht).

 

Sehe wirklich eher wie Katja aus

 

Im Kino erlebte man Sie bisher eher in glamourösen Rollen. In „Aus dem Nichts“ spielen Sie sehr kraftvoll eine Durchschnittsfrau; dafür wurden Sie in Cannes als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Wie haben Sie sich ihrer Rolle angenähert?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Aus dem Nichts" von Fatih Akin

 

und hier eine Besprechung des Films  "The Cut" - ambitioniertes Melodram über den Völkermord an den Armeniern von Fatih Akin

 

und hier ein Beitrag über den Film "Leb wohl, meine Königin!" - Historien-Drama über Marie Antoinette von Benoît Jacquot mit Diane Kruger

 

und hier einen Bericht über den Film Kriegerin – eindrucksvoller Einblick in die Neonazi-Szene von David Wnendt

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der blinde Fleck" über das rechtsradikale Oktoberfest-Attentat 1980 von Daniel Harrich.

 

So sehe ich nun mal ungeschminkt aus; mir war klar, dass die Rolle nach den Vorstellungen von Fatih Akin auch so angelegt sein sollte. Ich selbst schätze mich nicht als glamourös ein, doch ich bin mir schon bewusst, dass man mich durch meine Rollen etwa als Helena in „Troja“ (2004) von Wolfgang Petersen anders wahrnimmt. Aber im wirklichen Leben sehe ich eher aus wie Katja (lacht).

 

Zehn Mal höhere US-Budgets

 

Wie unterscheiden sich aus ihrer Sicht die Filmbranche in Hollywood und Deutschland?

 

In Hollywood sind natürlich die crews größer. Bei „Aus dem Nichts“ waren wir knapp 50 Leute mit einem Budget von rund fünf Millionen Euro. In den USA sind die Budgets zehn Mal so hoch, und am set arbeiten mindestens 150 Leute. Aber die Arbeit selbst ist gleich. Mir persönlich liegen europäische Filme eher, weil mir ihre Geschichten mehr bedeuten.

 

Oscar schon in Cannes gewonnen

 

Träumen Sie von der nächsten Oscar-Verleihung?

 

Bekanntlich schauen sich Amerikaner selten ausländische Filme an. Sollte „Aus dem Nichts“ dennoch mit einem Oscar prämiert werden, würde ich das Fatih Akin gönnen; er hätte es verdient. Ich habe meinen Oscar quasi schon in Cannes gewonnen – das war unerwartet und für mich die Krönung.