Die Haltung von Alfred Hitchcock zum whodunit war eindeutig. Diese Geschichten um die Aufklärung eines Verbrechens habe er immer gemieden, erklärte der englische Regisseur in seinen berühmten Gesprächen mit dem Regisseur François Truffaut, weil darin nur die letzten fünf Minuten interessant seien: „In aller Ruhe wartet man die Antwort auf die Frage ab: Wer war’s? Kein bisschen Emotion.“ Für einen Filmemacher, der seine Zuschauer stets emotional einbinden wollte, kam dies einer Todsünde gleich.
Info
Mord im Orient Express
Regie: Kenneth Branagh,
114 Min., USA/ Malta 2017;
mit: Kenneth Branagh, Judi Dench, Johnny Depp
Festival der Eitelkeiten
In der Poirot-Reihe, die mit „Mord im Orient-Express“ von 1974 ihren Ausgangspunkt nahm, mordeten beeindruckende Star-Ensembles an überwiegend exotischen Schauplätzen – und wurden meist in den Schatten gestellt vom exzentrischen Gehabe des überaus selbstgefälligen belgischen Detektivs. Agatha-Christie-Verfilmungen erhielten ihren Unterhaltungswert im besten Fall durch eine ironische Meta-Ebene, wenn eitle Stars in die Rollen von noch eitleren Charakteren schlüpfen. Letzteres bietet dem ebenfalls selbstgefälligen britischen Schauspieler und Regisseur Kenneth Branagh, der jetzt „Mord im Orient-Express“ neu verfilmt hat, durchaus Chancen.
Offizieller Filmtrailer
Tragische Tiefe der Detektiv-Seele
Auf den ersten Blick scheint sich sein Konzept nicht wesentlich von dem der Vorgänger zu unterscheiden: Mit Johnny Depp, Michelle Pfeiffer, Judi Dench, Willem Dafoe, Penélope Cruz und Derek Jacobi unter den Verdächtigen findet sich eine illustre Schar an Stars an Bord des Zuges ein. Er bleibt alsbald in einer – dank Computertrick – beeindruckenden Schneewehe in den jugoslawischen Bergen stecken. Als ein Geschäftsmann (Johnny Depp) erstochen aufgefunden wird, nehmen lange Vernehmungen ihren Lauf. Die Stars können aber in ihren Vignetten kaum glänzen. Sie verblassen neben dem überlebensgroßen Poirot, den Branagh mit breitem Schnurrbart und noch breiterem Ego spielt.
Neu ist, wie der gewiefte Shakespeare-Darsteller Branagh seiner Figur eine fast tragisch anmutende Tiefe gibt. Je weiter der Film voranschreitet, desto mehr entsteht das Gefühl, dass sich all den ermüdenden Ermittlungen zum Trotz hier niemand wirklich für die Detektion selbst interessiert – sondern vielmehr für deren Auswirkungen auf den Gemütszustand des Detektivs, der durch die tragischen Ereignisse zusehends aus der selbstgenügsamen Balance gebracht wird.
Arbeit ist nur für andere Leute
Hintergrund
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und hier einen Beitrag über den Film "Philomena" – anrührende Tragikomödie um Kindesraub von Stephen Frears mit Judi Dench.
Eines gelingt dem Regisseur aber wirklich gut: der Blick auf die feine Gesellschaft der untergegangenen Vorkriegs-Welt, in der es für die oberen Zehntausend ganz selbstverständlich war, sich zwischen Jerusalem, Istanbul, London und Kairo zu bewegen. Sie reisten mit Butler, Sekretär und Gesellschafterin, tranken Champagner und hielten Arbeit für etwas, das nur anderen Menschen zustieß. Heerscharen von Lakaien sprangen beflissen herbei, wenn der illustre Gast die Augenbraue runzelte.
Mit Zentimetermaß eindecken
Im Orient-Express wird die Ausrichtung der Essbestecke mit dem Zentimetermaß überwacht. Diese Welt kannte Agatha Christie selbst gut: Sie hatte in den 1920er- und 30er-Jahren ihren Ehemann auf dessen archäologischen Expeditionen in ebenjene Gegenden begleitet, in denen ihre Poirot-Romane spielen.