Katell Quillévéré

Die Lebenden reparieren

Marianne (Emmanuelle Seigner) und Vincent (Kool Shen) suchen verzweifelt die Nähe zu Ihrem Sohn Simon (Gabin Verdet). Foto: Wild Buch Germany GmbH
(Kinostart: 7.12.) Wenn ein Leichnam das Leben anderer verlängert: Das Herz eines hirntoten Jugendlichen dient im Familiendrama von Katell Quillévéré als Organspende für eine chronisch Kranke – in einer Art Medizin-Lehrfilm voller Betroffenheitskitsch.

Simon hat ein gutes Herz. Im wahrsten Sinne des Wortes: Sein junges, kräftiges Herz schlägt rhythmisch und munter; das Blut pulst lebhaft durch das lebenswichtige Organ, während er scheinbar friedlich zu schlafen scheint. Allein, der 17-jährige liegt nach einem schweren Autounfall in Le Havre auf der Intensivstation im Koma. Er ist hirntot. Für seine Ärzte ist dieser lebendige Leichnam mit gesunden Organen ein Glücksfall. In den nächsten 24 Stunden wird sich nun entscheiden, ob Simons gutes Herz ein anderes Leben retten kann, oder ob es für immer zu schlagen aufhören wird.  

 

Info

 

Die Lebenden reparieren

 

Regie: Katell Quillévéré,

103 Min., Frankreich/ Belgien 2016;

mit: Gabin Verdet, Kool Shen, Emmanuelle Seigner

 

Weitere Informationen

 

Katell Quillévéres Film „Die Lebenden reparieren“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Maylis de Kerangal, der 2015 in Frankreich zum bestseller wurde. Darin wird das heikle Thema Organspende präzise, sachlich und äußerst feinfühlig behandelt. Es geht um die „letzten 24 Stunden im Leben und die ersten 24 Stunden des Todes“ des jungen Mannes. 

 

Die Wellen beherrschen

 

Der Tag von Simon (Gabin Verdet) hatte so gut angefangen – schon am frühen Morgen sind er und seine Kumpel aufgebrochen, um die perfekten Wellen zu nutzen. Auf ihren Surfbrettern bezwingen sie spielerisch die eben noch bedrohlichen Wassermassen. Doch auch der erfahrene surfer Simon verpasst manchmal den richtigen Moment, wird unter die Welle gespült und betrachtet den Meeresspiegel von unten: Die Strömung hält ihn im immer dunkler werdenden Wasser fest; er schafft es gerade noch zurück an die Oberfläche. So eine Welle ist Spielzeug und Grab zugleich – und nur ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit trennt das Eine vom Anderen.

Offizieller Filmtrailer


 

Schwierige Entscheidung

 

Die Bilder dieser Eröffnungsszene sind die stärksten des Filmes. Sie illustrieren, wie gefährlich und verlockend das Meer ist – und wie fließend der Übergang von Leben zu Tod. Wenige Stunden später liegt Simon in einem Krankenhausbett. Medizinisch und juristisch gesehen ist Simon schon verstorben – auch wenn es so aussieht, als würde er jeden Moment die Augen öffnen. Seine Eltern Marianne (Emmanuelle Seigner) und Vincent (Kool Shen) müssen entscheiden, ob sie einer Organspende zustimmen.

 

Irgendwo in Paris lebt die 50-jährige Claire (Anne Dorval). Ihr Herz wird nicht mehr lange schlagen; die Angst vor dem Tod ist ihr und ihren zwei Söhnen ins Gesicht geschrieben. Claire hat Angst vor einer Operation und ist unsicher, ob sie mit dem Herzen eines Toten leben möchte. Doch ein gutes Herz bekomme man nicht jeden Tag angeboten, erklärt ihre Ärztin Dr. Moret (Dominique Blanc). 

 

Dokumentation schlägt Poesie

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die unerschütterliche Liebe der Suzanne" – ergreifendes Amour-Fou-Melodram über eine Drogendealer-Geliebte von Katell Quillévéré

 

und hier eine Besprechung des Films "Einfach das Ende der Welt" – intensives Drama über die Rückkehr eines Todkranken zu seiner Familie von Xavier Dolan mit Marion Cotillard + Vincent Cassel

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die Frau, die sich traut" – pointiertes Porträt einer Familienmutter im Kampf gegen Krebs von Marc Rensing mit Steffi Kühnert.

 

Wie das Herz eines fremden Körpers schließlich von einem ins andere Krankenhaus transportiert wird, um in einem anderen Körper weiterzuschlagen, formuliert die Regisseurin akribisch aus. Das wirkt manchmal wie ein Lehrfilm der medizinischen Fakultät – oder ein Dauerwerbespot für Organspenden. Dadurch verliert der Film seine Poesie: Die Geschichten von Simon, Claire und ihren jeweiligen Familien verkommen zur Nebensache. Stattdessen werden die gesetzlich vorgeschriebenen Schritte einer Organspende samt Operation dokumentiert.

 

Quillévéré bemüht sich nach dem vielversprechenden Anfang bis zum Schluss um Atmosphäre und poetische Momente, doch leider sind weite Teile des Filmes vor allem langweilig. Aber wenn die Regisseurin schon den sachlichen Weg sucht: Warum baut sie keine ausführlichen Gespräche über dieses komplexe, mitunter spirituelle Thema ein?  

 

Betroffenheit statt Aufklärung

 

Es gibt weder Diskussionen über Für und Wider von Organspenden noch Dialoge über Erfahrungen oder Bedenken. Stattdessen viele leere Blicke und viel Betroffenheit; etwa, wenn Simons Eltern minutenlang im Auto zu sehen sind und Mariannes Blick über den Hafen von Le Havre schweift. Was die Familie kurz vor der Herztransplantation bewegt, bleibt unklar.

 

Das viele Nichtgesagte und die vielen langen Beobachtungen, von kitschiger Musik ertränkt, erschöpfen sich rasch in Betroffenheitsbrei. Wäre Quillévéré bei ihrer anfänglich dichten Bildsprache geblieben, wäre sie ihrem Thema sicher wesentlich näher gekommen.