Berlin

Gesichter Chinas: Porträtmalerei der Ming- und Qing-Dynastie + Wechselblicke – Zwischen China und Europa

Chinesische Damen beim Brettspiel (Detail), China, 2. Hälfte 18. Jh., Wasser- und Deckfarben auf Seide, © Museum für Völkerkunde Hamburg. Fotoquelle: SMB
Auge in Auge mit dem Reich der Mitte: Das Museum für Asiatische Kunst und die Kunstbibliothek präsentieren im Kulturforum klassische Porträtmalerei und kulturelle Exportgüter – zwei visuell opulente Sonderschauen mit magerem historischen Kontext.

Barockes Palast-ensemble in Beijing

 

Weniger spektakuläre Schaustücke, aber ein näher liegendes Thema bietet die parallel laufende Ausstellung „Wechselblicke – Zwischen China und Europa 1669-1907“. Im Abendland des 18. Jahrhunderts waren so genannte Chinoiserien schwer in Mode. Kein Lustschloss kam ohne chinesisches Kabinett aus, das mit Seidentapeten, Wandschirmen und Porzellan dekoriert wurde. Doch der Kulturaustausch war keine Einbahnstraße: Am Kaiserhof in Beijing hatten Jesuiten nicht nur neue Maltechniken, sondern auch Kunsthandwerk und Architektur popularisiert.

 

Das aufwändigste Paradestück dieses Euro-Einflusses waren die „Westlichen mehrstöckigen Gebäude“ (Xiyang Lou). Castiglione und Pater Michel Benoist errichteten sie ab 1747 im Nordwesten von Beijing als Teil eines ausgedehnten Palast-Areals: Im „Garten der vollkommenen Klarheit“ (Yuanming Yuan) entstand ein ensemble von Gebäuden im Barock- und Rokoko-Stil, umgeben von sprudelnden Wasserspielen. Als diese versiegten, weil der zuständige Pater Benoist 1774 starb, verlor der Kaiser das Interesse. Im Zweiten Opiumkrieg wurde der Komplex 1860 von anglofranzösischen Truppen zerstört; heute stehen dort Ruinen.

 

Rothaarige Europäer in Gehröcken

 

20 prachtvolle chinesische Kupferstiche – ebenfalls eine von den Jesuiten eingeführte Drucktechnik – füllen eine ganze Wand mit der Formenvielfalt dieser Freizeit-Paläste. Wie sie im Inneren aussahen, zeigt eine Seidenmalerei: Hofdamen in pseudo-europäischen Kleidern vergnügen sich beim Brettspiel. Ihren schon Ende des 19. Jahrhunderts verfallenen Zustand bezeugen Vitrinen mit damaligen Fotografien. Nirgends wird jedoch ihre Geschichte dokumentiert oder ihr Zweck angesprochen: Waren diese Bauten für den Kaiser nur teure Spielzeuge, oder betrachtete er ihre exotische Architektur als nützlich oder gar vorbildlich?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "China und Ägypten - Wiegen der Welt" - anschaulicher Vergleich der beiden antiken Kulturen im Neuen Museum Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Glanz der Kaiser von China – Kunst und Leben in der Verbotenen Stadt" - prachtvolle Überblicks-Schau im Museum für Ostasiatische Kunst, Köln

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Supermarket of the Dead" - exzellente Essay-Schau über traditionelle Brandopfer in China im Residenzschloss, Dresden

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Menschen und Götter – Figurenmalerei in China" im Museum für Asiatische Kunst, Berlin-Dahlem

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Der chinesische Lustgarten" mit klassischer Erotica im Museum für Asiatische Kunst, Berlin-Dahlem.

 

Diese Frage bleibt auch bei anderen so genannten Europerien unbeantwortet. Auf Bildern chinesischer Maler waren Europäer stets an roten Haaren, Gehröcken und Bundhosen zu erkennen. Solche Motive verwendete man nicht nur für Porzellan, das in den Okzident exportiert wurde, sondern auch für den lokalen Gebrauch. Die Ausstellung führt an Belegen auf Papier und Keramik vor, wie durch Ex- und Import von Ost nach West und zurück Hybrid-Darstellungen zwischen beiden Kulturkreisen entstanden: Sie gaben keine Realitäten wider, sondern wechselseitige Vorstellungen voneinander.

 

Gerücht über Porzellan-Fassade

 

Das konnte amüsant groteske Formen annehmen; wenn etwa ein chinesischer Holzschnitt-Meister eine fette holländische Milchkuh überlebensgroß in eine liebliche asiatische Landschaft stellte. Oder folgenreiche Missverständnisse hervorrufen: 1665 setzte der Handelsreisende Johan Nieuhof das Gerücht in die Welt, die Pagode in Nanjing sei aus Porzellan errichtet. Daraufhin befahl Sonnenkönig Ludwig XIV., das „Trianon“ in Versailles mit Fayencen zu verkleiden. Was nicht lange hielt: Nach nur 16 Jahren wurde es abgerissen – doch sein fernöstlich anmutendes Dekor fand bald europaweit begeisterte Nachahmer.

 

Mit solchen Anekdoten begnügt sich die Kabinett-Ausstellung der Kunstbibliothek weitgehend. Sie trägt allerlei hübsche Fundstücke zusammen, doch wenig zum Verständnis des Phänomens bei: Wann und warum wuchs in Europa und China die Neugier auf die jeweils andere Kultur – mit welchen langfristigen Folgewirkungen? Immerhin wurde chinesische Seide bereits zur Römerzeit und Porzellan seit dem frühen 16. Jahrhundert in großen Mengen nach Europa eingeführt. Während der „Chinamanie“ des 18. Jahrhunderts priesen Aufklärer wie Voltaire das Reich der Mitte als rational verwalteten Beamtenstaat.

 

Anschauung ohne Begriffe ist blind

 

Solche Aspekte bleiben im Berliner Kulturforum außen vor. Darin ähneln beide Ausstellungen einander: „Gesichter Chinas“ und „Wechselblicke“ beschränken sich auf Kunst-Anschauung, ohne die geistigen und historischen Rahmenbedingungen ausreichend zu erläutern. Das wäre fürs hiesige Publikum dringend nötig: Allein den Blick auf Gesichter und Erscheinungsformen der ältesten Weltkultur zu richten, reicht im Zeitalter ihrer stürmischen Renaissance nicht aus.