Helvetischer Heilsbringer: Ab etwa 1900 bis zum Ersten Weltkrieg wurde Ferdinand Hodler (1853-1918) in Deutschland als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler gerühmt. So unterschiedliche Kollegen wie Max Liebermann und Ernst Ludwig Kirchner begeisterten sich für den Schweizer – er wurde allerorten ausgestellt, bewundert und mit hoch dotierten Aufträgen bedacht. Davon ist wenig geblieben; kaum ein deutsches Museum besitzt noch mehr als ein oder zwei Werke von ihm.
Info
Ferdinand Hodler - Maler der frühen Moderne
08.09.2017 - 28.01.2018
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
in der Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4, Bonn
Katalog 35 €
Bis heute irritierende Malweise
Umso verdienstvoller ist diese Retrospektive im Vorfeld seines 100. Todestags. Mit rund 100 Gemälden und 40 Zeichnungen – natürlich meist Leihgaben aus der Schweiz – präsentiert sie nicht nur die gesamte Bandbreite seines Schaffens. Sie führt auch sehr anschaulich vor, wie Hodler nach konventionellen Anfängen eine völlig eigen- und einzigartige Malweise entwickelte. An der schieden sich zu seinen Lebzeiten die Geister – vieles irritiert noch heute.
Impressionen der Ausstellung
Skandal um nackte Schläfer der „Nacht“
Hodler stammte aus ärmlichen Verhältnissen in Bern und wurde mit 14 Jahren Waise; was erklären dürfte, warum er sich zeitlebens emsig um finanziellen Erfolg bemühte. Er lernte bei einem Veduten-Maler, Souvenir-Bilder für Touristen zu pinseln; dann wurde er an der Kunsthochschule in Genf professionell ausgebildet. Nach achtmonatigen Studien in Spanien beteiligte er sich rege an allerlei Wettbewerben – mit wechselndem Ertrag.
Immerhin richtete 1887 das Kunstmuseum Bern dem 34-Jährigen seine erste Einzelausstellung aus. Vier Jahre später löste sein symbolistisches Gemälde „Die Nacht“, auf dem sich nackte Gestalten schlafend auf dem Boden räkeln, einen Eklat aus: Es wurde von den Behörden aus einem Genfer Museum entfernt. Die öffentliche Debatte um diese Zensur machte Hodler landesweit bekannt – zumindest bei Zeitung lesenden Kunstfreunden.
Figuren-Fries für Hannoveraner Rathaus
1897 erfuhr er Genugtuung. Dasselbe Bild wurde auf der Münchener Kunstausstellung mit einer Goldmedaille prämiert; damit war sein Name im deutschen Kunstbetrieb etabliert. Sieben Jahre darauf erlebte er seinen internationalen Durchbruch: Die Wiener Secession ehrte ihn mit 32 effektvoll arrangierten Gemälden in ihrem zentralen Saal. Etliche Ankäufe reicher Sammler machten Hodler schlagartig wohlhabend.
Fortan erhielt er lukrative Aufträge für private Porträts oder Dekorationen öffentlicher Gebäude. Für die Universität in Jena schuf er 1907/9 ein meterlanges Wandbild zum „Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg von 1813“. Den Sitzungssaal im Neuen Rathaus von Hannover schmückte er 1913 mit dem Figuren-Fries „Einmütigkeit“ im extremen Querformat; sie zeigt das Bekenntnis der Hannoveraner zur Reformation 1533.
Majestätische Ausstellungs-Inszenierung
Hodlers Popularität im Kaiserreich wurde ein Opfer des Ersten Weltkriegs. Nachdem deutsche Artillerie im September 1914 die Kathedrale von Reims in Brand geschossen hatte, protestierte der Künstler gemeinsam mit 120 Kollegen gegen diese Kulturzerstörung. Als vermeintlicher Verräter wurde er aus allen Künstlervereinigungen im Reich ausgeschlossen und sein Wandbild in der Uni von Jena verhüllt. Dessen Wieder-Enthüllung nach Kriegsende hat der Schweizer nicht mehr erlebt: Er starb im Mai 1918 in Genf an einem Lungenödem.
Wenn die Bonner Werkschau auch eine Art Rehabilitation für einen lange Vernachlässigten sein soll, dann gelingt ihr das glänzend. Mit einer majestätischen Inszenierung in kühlem Blau: Sein Frühwerk, erste Landschaften und Bildnisse sind in Gruppen sparsam im Raum verteilt. Gefolgt von seinen trademark paintings: locker thematisch geordnet, hängen die Bilder in Serie an mächtigen Raumteilern mit mondfensterartigen Öffnungen.
Jenenser Studenten machen mobil
Insbesondere Großformate entfalten so ihre Wirkung; Hodler galt als einer der originellsten Monumental-Maler seiner Epoche. Warum, verdeutlicht etwa das in zwei Ebenen unterteilte Wandbild aus Jena. Unten machen sechs Studenten mobil, mit expressiven Gesten: Einer schlüpft in seinen Waffenrock, der zweite zurrt seinen Tornister fest, ein dritter besteigt sein Pferd. Oben marschiert eine Soldaten-Kolonne im Gleichschritt: Wie in einer Folge von Filmszenen führt der Künstler die Entindividualisierung im Krieg zur homogenen Masse vor.
Bereits 1885 hatte er die Stämme eines herbstlichen „Buchenwalds“ frontal in Reih und Glied stehen lassen. Dieses Prinzip der symmetrischen Wiederholung in einfachen geometrischen Formen wie Kreis oder Ellipse nannte Hodler „Parallelismus“; er wollte dadurch die Einheit von Mensch und Natur betonen und seine Kompositionen einprägsamer machen.
Starke Konturen + radikale Flächigkeit
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "1912 – Mission Moderne: Die Jahrhundertschau des Sonderbundes" – mit Werken von Ferdinand Hodler im Wallraf-Richartz-Museum, Köln
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Magie des Augenblicks: Van Gogh, Cézanne, Bonnard, Vallotton, Matisse" – gute Überblicks-Schau über Nabis-Künstler in Halle/Saale + Stuttgart
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Dem Licht entgegen – Die Künstlerkolonie-Ausstellung 1914" – große Jugendstil-Schau im Institut Mathildenhöhe, Darmstadt
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Dekadenz - Positionen des österreichischen Symbolismus" – grandiose Epochen-Schau im Unteren Belvedere, Wien
und hier einen Bericht über den Film "Giovanni Segantini - Magie des Lichts" – Biopic über den italo-helvetischen Malers des Symbolismus + Divisionismus von Christian Labhart.
Doch Hodler radikalisierte das, etwa auf seinen zahlreichen Ansichten von Seen und Gebirge. Im Laufe der Jahre abstrahierte er immer stärker die Ufer, Wasseroberflächen und Höhenkämme, bis nur noch stark kolorierte Zonen aneinander grenzten, die ort- und zeitlose Farbeindrücke vermittelten – ohne je die Gegenständlichkeit ganz aufzugeben.
Bildsprache zwischen Alpen + Kraftkerlen
Über seinen ureigene Malweise würde man gerne mehr erfahren: Wieso wechselte Hodler von einer traditionell tonigen zur gedämpft kreidigen Farbskala der Symbolisten und Nabis – bis er seine Palette immer stärker reduzierte und zugleich ins Bunte, fast Grelle aufhellte? Warum fand sogar sein körniges, fast skizzenhaftes Spätwerk großen Anklang beim damaligen Publikum – das ähnliche Arbeiten der Fauvisten und Expressionisten als primitiv schmähte?
Darauf gehen weder Wandtexte noch der Katalog ein. Stattdessen erläutern sie ausführlich Hodlers gewundene Laufbahn zwischen Ruhm und Rückschlägen; allein dem „Fall Hodler“, also dem Protest 1914 und seinen Folgen, ist ein ganzer Saal gewidmet. Wer mehr über seine Kunst erfahren will, wird wohl in die Schweiz reisen müssen: Dort wird seine Bildsprache zwischen ätherischen Alpen-Panoramen und stilisierten Kraftkerlen, die Holzschnitten der Landsknechts-Zeit entsprungen sein könnten, wohl in einem ganzen Reigen von Jubiläums-Ausstellungen gewürdigt werden.
SVP-Blocher sammelt eifrig Hodler
Der großzügigste private Leihgeber dieser Schau, der allein 14 Werke aus seiner Sammlung beisteuerte, ist übrigens Christoph Blocher – der Chemie-Milliardär hat als langjähriger Präsident die „Schweizerische Volkspartei“ (SVP) auf einen stramm rechtspopulistischen Kurs getrimmt. Man kann sich seine Verehrer eben nicht aussuchen.