Pappi Corsicato

Julian Schnabel – A Private Portrait

MIt breitem Pinsel im Anschlag: Julian Schnabel. Foto: © Porfirio Munoz. Fotoquelle: Weltkino Filmverleih GmbH
(Kinostart: 11.1.) Maler gestischer Riesenbilder, Regisseur origineller Spielfilme und Vater von sechs Kindern: Julian Schnabel lebt wie ein Renaissancemensch. Dem Shooting Star im New York der 1980er Jahre widmet Regisseur Corsicato eine erhellende Doku.

Die ersten Szenen lassen Schlimmes befürchten: Julian Schnabel tollt im Bademantel mit seinem jüngsten Sprössling herum, läuft mit dem nackten Kleinkind durch den Wald und springt dann ins Meer. Sollte der italienische Regisseur Pappi Corsicato, der schon einige Künstler-Dokus drehte, den Untertitel „A Private Portrait“ allzu wörtlich genommen haben?

 

Info

 

Julian Schnabel –
A Private Portrait

 

Regie: Pappi Corsicato,

85 Min., Italien 2016;

mit: Julian Schnabel, Al Pacino, Willem Dafoe

 

Weitere Informationen

 

Gottlob nicht – obwohl es mit alten Super-Acht-Filmen in Schwarzweiß über Badefreuden am Strand weitergeht. Doch der Familienvater verhält sich recht merkwürdig. Er animiert seine Kinder, überall mit Farben herumzuschmieren; dabei hat er sie offenbar fest im Griff. Schon diese Freizeit-Aufnahmen machen deutlich, wie viel Autorität und Charisma der Mann ausstrahlt – allein schon durch seine hünenhafte Statur.

 

So oft in Klatsch- wie in Kunstpresse

 

Willkommen in der Welt eines Großkünstlers, der sein Dasein mit Geschäftspartnern, Freunden und Verwandten zelebriert wie ein Renaissancemensch. Mittlerweile ist es um Schnabel etwas ruhiger geworden, doch vor rund 30 Jahren tauchte sein Name ebenso häufig in der Klatsch- wie in der Kunstpresse auf.

Offizieller Filmtrailer


 

Von New York nach Texas und zurück

 

Als in der Bundesrepublik die „Neuen Wilden“ wüteten, machten in den USA junge Künstler mit ähnlich spontan gemalten Riesen-Bildern von sich reden. Ihnen heftete man das Etikett „Neo-Expressionismus“ an, obwohl sie stilistisch wenig miteinander verband. Am bekanntesten wurden der Afroamerikaner Jean-Michel Basquiat (1960-1988), der Graffiti-Künstler Keith Haring (1958-1990) und eben Julian Schnabel – er widmete sechs Jahre nach Basquiats Drogentod seinem Weggefährten ein anrührendes biopic.

 

Für die standards der New Yorker Kunstszene hatte Schnabel eine fast schon verdächtig bürgerliche Herkunft. 1951 als Kind jüdischer Einwanderer in Brooklyn geboren, zog er als 14-jähriger mit seiner Familie an die Küste von Texas. Provinzielle Langeweile bekämpfte der teenager mit Malerei; die flower power-Jahre erlebte er als leidenschaftlicher surfer mit blondem afro.

 

Alle schwärmen von Schnabel

 

1973 kehrte er nach New York zurück, studierte Kunst und schlug sich mit Gastronomie-jobs durch. Zugleich machte er im Kunstbetrieb mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein von sich reden. Vor der Kamera erzählt die renommierte Galeristin Mary Boone, Schnabel habe ihr 1979 angekündigt, binnen fünf Jahren werde er den Titel des maßgeblichen Magazins „Artforum“ zieren – bereits 1981 war es soweit.

 

Wodurch ihm das gelang, bleibt allerdings offen. Wie in vielen derartigen Dokus werden die Mechanismen des Kunstbetriebs und die Erfolgsgeheimnisse eines Künstlers weitgehend ausgespart. Stattdessen lässt Regisseur Corsicato zahlreiche Gesprächspartner wortreich von Schnabels Qualitäten schwärmen: seiner Willensstärke und Entschiedenheit, Vielseitigkeit und Verbindlichkeit, seinem Einfallsreichtum und seiner unerschöpflichen Energie.

 

Überlebensgroße Figur aus Balzac-Roman

 

Das könnte zur öden Lobhudelei ausarten, wäre die Schar seiner Bewunderer nicht so bunt: Starkünstler-Kollege Jeff Koons, die Schauspieler Al Pacino und Willem Defoe, Drehbuch-Autor Jean-Claude Carrière und viele mehr, natürlich auch seine drei (Ex-)Frauen und sechs erwachsenen Kinder – sie alle haben Geistreiches und Erhellendes über Schnabel zu sagen. Sogar „U2“-Sänger Bono Vox trägt ein paar salbungsvolle Worte vor. Das montiert Pappi Corsicato sehr geschickt zur fortlaufenden Erzählung; quasi als vielstimmiges Helden-Epos, passgenau mit Archiv- und Doku-Aufnahmen abwechslungsreich unterlegt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier einen Beitrag über das "Gallery Weekend 2012" mit Werken von Julian Schnabel bei "Contemporary Fine Arts"

 

und hier eine Rezension der Ausstellung "Keith Haring – Gegen den Strich" – große Retrospektive des homosexuellen Graffiti-Künstlers in der Hypo-Kunsthalle, München

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Yes!Yes!Yes! Warholmania in Munich" – große Retrospektive von Andy Warhol im Museum Brandhorst, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Francesco Clemente: Palimpsest" – umfassende Werkschau des Transavanguardia-Künstlers in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt.

 

„Julian ist respektlos; dabei umarmt er jeden mit Worten“, charakterisiert ihn der brasilianische Filmregisseur Héctor Babenco, der 2016 starb: „Er ist überlebensgroß, wie eine Figur aus einem Balzac-Roman“. Der Vielgepriesene selbst nimmt’s gelassen: Er habe stets gewusst, was er wollte, und das unbeirrbar verfolgt, murmelt Schnabel im Interview.

 

Bowie als Andy Warhol im Debütfilm

 

Aufschlussreicher sind Beobachtungen am Arbeitsplatz. Der Künstler malt oft im Freien, legt riesige Leinwände aus oder hängt sie an Mauern, um sie dann monomanisch mit Pinseln, Rollen und Händen zu traktieren. Ein beherrscht agierender Berserker, der seine gestischen Ausbrüche genau kalkuliert.

 

Zu seiner Ausgeglichenheit mag beitragen, dass er zu den wenigen bildenden Künstler zählt, die auch als Spielfilm-Regisseure reüssieren. Mit seinem Debüt „Basquiat“ wurde der Regie-Autodidakt zum Festival in Venedig 1996 eingeladen. Bei diesem nuancierten Sittenbild des inner circle im New Yorker Kunstbetrieb übernahm David Bowie die Rolle der Zentralfigur Andy Warhol (1928-1987); Gary Oldman spielte Schnabels alter ego.

 

Aus Gelähmten-Sicht filmen

 

Im Jahr 2000 gewann „Bevor es Nacht wird“ mit Javier Bardem als schwulem kubanischen Schriftsteller Reinaldo Arenas vier Preise in Venedig. Schnabels außergewöhnlichster Film war jedoch „Schmetterling und Taucherglocke“ (2007). Nach einem Schlaganfall kann ein Modezeitschrift-Herausgeber nur noch seine Augen bewegen; lange Abschnitte sind aus Sicht des Gelähmten gefilmt. Diesen kühnen Ansatz preist Hauptdarsteller Mathieu Amalric als genial; in Cannes gab es dafür den Preis für die beste Regie. Nur „Miral“ (2010) über den Nahost-Konflikt wurde ein flop – wegen arg einseitiger Parteinahme für die Palästinenser.

 

Das ficht den Künstler nicht an: Er empfiehlt, jedweden Frust mit Farbe auf der Leinwand auszuagieren. Bleibt am Ende dieses abwechslungs- und temporeichen Porträts nur eine Frage offen: Wer kauft eigentlich all die Riesen-Bilder, die Schnabel offenbar immer noch en gros malt?