Matt Schrader

Score – Eine Geschichte der Filmmusik

Bläsergruppe. Foto: © 2017 Epicleff Media/NFP marketing & distribution*
(Kinostart: 4.1.) Im Klangbrei der Blockbuster-Soundtracks: Regisseur Matt Schrader will die Geschichte und Funktion der Filmmusik erklären, verliert sich aber zwischen Banalitäten und Eigenlob der Protagonisten – ein kakophonisches Hollywood-Stimmengewirr.

Soundtracks sind wie Gewürze. Sind sie zu intensiv, übertünchen sie die Bilder; sind sie zu subtil, werden sie fade – oder lenken vom Wesentlichen ab. Gelingt ihnen aber, die Bilder zu verstärken oder ihnen zu widersprechen, wird der Film wie eine gute Mahlzeit zum synästhetischen Erlebnis: Filmmusik wühlt auf oder verwirrt, stimuliert oder sediert, bestätigt oder unterläuft Erwartungen, die auf der Bild-Ebene erzeugt werden. Bis eine symbolische Beziehung zwischen Bild und Ton entsteht, die sich der Zuschauer als Einheit denkt.

 

Info

 

Score - Eine Geschichte der Filmmusik

 

Regie: Matt Schrader,

93 Min., USA 2017;

mit: Hans Zimmer, James Cameron, Rachel Portman

 

Website zum Film

 

Zu Beginn des Tonfilms in den 1930er Jahren bestand Filmmusik stets aus Auftrags-Kompositionen. Seit den späten 1960er Jahren kommt sie immer öfter aus dem Archiv: stock music heißt das im Fachjargon. Manche Regisseure wie etwa Quentin Tarantino haben eine Vorliebe für obskure pop songs, andere für E-Musik. So verwendete Stanley Kubrick in „2001: Odyssee im Weltraum“ atonale Musik von Gegenwarts-Komponisten wie György Ligeti.

 

Stakkato redundanter statements

Im Dokumentarfilm „Score“ von US-Regisseur Matt Schrader geht es jedoch nur um eigenständige Kompositionen. Der Schwerpunkt liegt auf Orchestermusik; sie ist bis heute in vielen zeitgenössischen mainstream-Produktionen zu hören. Dass Schrader vor allem die berühmtesten Schöpfer solcher Werke selbst zu Wort kommen lässt, mag löblich sein; es führt aber bereits nach wenigen Minuten zu einem Stakkato aus redundanten statements der Selbstbezogenheit.

Offizieller Filmtrailer


 

Star-Parade ohne analytische Tiefe

 

Dabei lässt die Parade renommierter Regisseure wie James Cameron oder Steven Spielberg und Filmkomponisten wie Hans Zimmer oder Rachel Portman jegliche analytische Tiefe vermissen. „Score“ bietet weder eine historische noch kulturelle Einordnung des Phänomens Filmmusik – und stellt keine Fragen nach dem Wie oder Warum, sondern nur nach dem Was.

 

Die wenigen historischen Beispiele sind arg Hollywood-zentriert. Der soundtrack von Alex North für „Endstation Sehnsucht“ (1951), Elia Kazans Verfilmung eines Theaterstücks von Tennessee Williams, wird einvernehmlich als stilprägend bezeichnet. Dabei ignorieren die Akteure etwa die französische Nouvelle Vague; ebenso gut könnte „Hiroshima mon amour‶ (1959) von Alain Resnais als „erster Film mit modernem sound“ gelten, wie der Regisseur Eric Rohmer einmal feststellte.

 

Das eigene Kind erstmals sehen

 

Stattdessen lösen talking heads einander ab, die vor überdimensionalen Mischpulten sitzen oder mit Dirigentenstab vor großen Orchester-ensembles herumfuchteln. Ständig finden sie irgendeinen soundtrack „beeindruckend“, „interessant“ oder verlieren sich in Banalitäten: Selbst komponierte Musik zum ersten Mal zu hören, sei, wie das eigene Kind zum ersten Mal zu sehen, heißt es einmal.

 

Oder: Filmkomponisten seien wie Therapeuten, sagt blockbuster-Regisseur James Cameron. Beim ersten Treffen mit dem Regisseur müssten sie empathisch und exakt ein Klangbild entwerfen, das der Regisseur nur andeuten könne. Doch wie genau und mit welchen musikalischen Techniken das geschieht, bleibt völlig offen.

 

Choreographie der Augen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "La Mélodie – Der Klang von Paris" über ein Musikprojekt für benachteiligte Pariser Schüler von Rachid Hami

 

und hier eine Besprechung des Films "Beberian Sound Studio" - skurril-bizarrer Mystery-Psycho-Thriller über Giallo-Film-Vertonung von Peter Strickland

 

und hier einen Beitrag über den Film "Saiten des Lebens" - feinsinnige Beziehungsstudie über ein Kammermusik-Ensemble von Yaron Zilberman

 

und hier einen Bericht über den Film "Im Garten der Klänge" - Dokumentation über einen blinden Musiktherapeuten von Nicola Bellucci.

 

Amüsant und peinlich zugleich wird es, wenn einige Gesprächspartner wie der brasilianische Filmkomponist Heitor Pereira auf ihren Lieblings-Instrumenten herumklimpern und dabei von ihrem Beruf schwärmen. Eine Psychologin namens Siu-Lan Tan referiert lediglich Alltagswissen: Musik spreche wie Schokolade das Belohnungszentrum an. Sie leite beim Anschauen eines Filmes die Augenbewegungen; die „Choreographie der Augen“ nennt es Tan.

 

Anstelle einer narzisstischen Nabelschau erfolgreicher Komponisten hätte man gern mehr über verschiedene Filmmusik-Formen erfahren; etwa den Unterschied zwischen soundtrack als Abfolge einzelner songs aus dem Archiv samt Dialogen und Klang-Effekten – sowie dem score, der für einen spezifischen Film komponierten Musik. Oder über exzentrische Klang-Konzepte im avantgardistischen Autoren-Kino, etwa den unheimlich entrückten score von Mica Levis für den psycho thriller „Under the Skin“ von Jonathan Glazer. Ihre Partitur wurde 2014 mit dem Europäischen Filmpreis für die beste Filmmusik ausgezeichnet.

 

Routinierter Größenwahn

 

„Wir haben eine große Verantwortung“, betont gegen Ende Hans Zimmer, einer der meist beschäftigten Vertreter seiner Zunft: Nur sie könnten noch Orchestermusik in Auftrag geben – ohne ihr Wirken würde sie aussterben. Dieser routinierte Größenwahn dürfte der Grund sein, warum die meisten blockbuster-Filmen bis heute mit spätromantisch geprägtem Klangbrei übergossen werden, der eher einlullt als die Sinne schärft.

 

Dass die quietschenden Terror-Geigen auf der Tonspur von Alfred Hitchcocks „Psycho“ (1960) für die Macher von „Score“ immer noch als radikalste Filmmusik der Kinogeschichte gelten, ist ein trauriger Beweis für die musikalische Fantasie- und Mutlosigkeit des aktuellen mainstream-Kinos.