Lars Kraume

Das Schweigende Klassenzimmer

Eric (Jonas Dassler), Theo (Leonard Scheicher), Lena (Lena Klenke), Paul (Isaiah Michalski) und Kurt (Tom Gramenz) mit ihren Mitschülern Copyright: Studiocanal GmbH / Julia Terjung
(Kinostart: 1.3.) Ein paar Oberschüler gegen die Regierung: Im DDR-Historienfilm von Regisseur Lars Kraume wird die Widerstandsgeste einer Schulklasse zur Staatsaffäre aufgeblasen – lehrreiches Drama über die politischen Widersprüche des SED-Regimes.

Es war eine spontane Aktion: Für die Opfer des Ungarn-Aufstandes 1956 legte eine Abiturklasse in der DDR im Unterricht eine Schweigeminute ein. Das scheint heute kaum noch der Rede wert zu sein, doch damals hatte es dramatische Konsequenzen für die Schüler. Teile des Lehrkörpers witterten konterrevolutionäre Umtriebe – und die Sache zog sich bis ins Ministerium. Die Rädelsführer sollten unbedingt gefunden und von der Schule entfernt werden. Doch die Schüler weigerten sich, jemanden ans Messer zu liefern.  

 

Info

 

Das Schweigende Klassenzimmer

 

Regie: Lars Kraume,

111 Min., Deutschland 2017;

mit: Michael Gwisdek, Burghart Klaußner, Jördis Triebel

 

Website zum Film

 

Auf Grundlage dieser realen Episode inszeniert Regisseur Lars Kraume ein historisches Lehrstück über die frühe DDR fünf Jahre vor dem Mauerbau. Die Handlung von „Das schweigende Klassenzimmer“ wird aus dramaturgischen Gründen vom brandenburgischen Storkow nach Stalinstadt verlegt – jene sozialistische Musterstadt für Stahlwerk-Arbeiter heißt seit 1961 Eisenhüttenstadt.

 

Folgenreicher Kino-Besuch

 

Im Zentrum der Handlung stehen die Freunde Theo (Leonard Schleicher) und Kurt (Tom Gramenz), die aus sehr unterschiedlichen Familien kommen. Während Theos Vater im Stahlwerk malocht, ist der von Kurt ein typischer Apparatschik, also SED-Parteifunktionär. Als die beiden bei einem Westberlin-Besuch dort ins Kino gehen, sehen sie dramatische Bilder vom Ungarn-Aufstand in der Wochenschau.

Offizieller Filmtrailer


 

Dummer Streich wird zur Staatsaffäre

 

Hier wird ganz anders über die Ereignisse berichtet als in den Ost-Medien, wenn auch nicht frei von Propaganda. Später hören sie mit weiteren Klassenkameraden beim Außenseiter Edgar (Michael Gwisdek) den verbotenen West-Radiosender „Rias“. Das offizielle Bild vom Arbeiter- und Bauernstaat bekommt immer mehr Risse. Daraus entsteht die Idee zur Schweigeminute.

 

Der Schuldirektor Schwarz (Florian Lukas) versucht die Aktion als dummen Streich abzutun, aber Teile des Kollegiums melden sie der Partei. Die beauftragt eine Frau Kessler mit der Untersuchung, die von Jördis Triebel mit schmieriger Schneidigkeit gespielt wird. Als ihre Intervention nicht fruchtet, schaltet sich gar der Volksbildungs-Minister Lange (Burghart Klaußner) ein, der aus persönlichen Gründen so genannte Konterrevolutionäre mit aller Härte verfolgt – nach dem Motto: „Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich“.

 

Bedrückende Piefigkeit

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "In Zeiten des abnehmenden Lichts" – vielschichtige Tragikomödie über das Ende der DDR von Matti Geschonneck

 

und hier einen Bericht über den Film "Das Geständnis" – Kammerspiel über DDR-Polizei + Justiz von und mit Bernd Michael Lade

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Staat gegen Fritz Bauer" – Biopic über den Staatsanwalt, der Adolf Eichmann aufspürte, von Lars Kraume mit Burkhart Klaußner

 

und hier eine Besprechung des Films "Westen" – packendes Drama über DDR-Flüchtlinge im Notaufnahmelager von Christian Schwochow mit Jördis Triebel.

 

„Das schweigende Klassenzimmer“ legt die Verstrickungen der älteren Generation in das System DDR geradezu exemplarisch offen. Dabei rühren die Motive der Erwachsenen noch aus ihren Erfahrungen während der Nazizeit. Diese schuldbehaftete Vergangenheit lastet wie eine unsichtbare Folie über den Ereignissen. Die jungen Leute dechiffrieren dieses Schweigen der Erwachsenen nur mühsam. Ihre Handlungen rühren ständig an wunde Punkte, von denen sie zunächst nichts ahnen.

 

Der Film braucht relativ lange, bis er Fahrt aufnimmt und sich die Konflikte zuspitzen. Regisseur Lars Kraume nutzt diese Zeit, um eine Atmosphäre bedrückender Piefigkeit aufzubauen. Stalin war zum Zeitpunkt der Handlung bereits drei Jahre tot, aber sein Geist war noch immer sehr lebendig. 

 

Enthüllung des Systems

 

Die Botschaft vom Unrechtsstaat DDR vermittelt der Film überdeutlich, während die Dramaturgie und Bildsprache recht formelhaft wirken. Doch die Spielfreude des Ensembles, dessen Nachwuchstalente ihren gestandenen Kollegen in nichts nachstehen, gleicht diese Schwächen aus.

 

Bis zum Schluss fiebert man mit, wie die Sache für die Schüler wohl ausgehen wird. Schließlich erreichen die Verantwortlichen durch ihren Druck auf die Jugendlichen genau das Gegenteil: Sie enthüllen ungewollt die diktatorische Natur des SED-Regimes, und die Schüler ziehen daraus ihre Konsequenzen.