Omar Sy

Docteur Knock

Dr. Knock (Omar Sy) hat in dem verschlafenen Nest Saint-Mathieu eine Praxis eröffnet und behandelt auch die Witwe Pons (Hélène Vincent). Foto: © Wild Bunch Germany
(Kinostart: 22.2.) Ohne Risiken und Nebenwirkungen: Aus dem Porträt eines kriminellen Provinz-Arztes macht Regisseurin Lorraine Lévy eine kreuzbrave Sittenkomödie. Dabei setzt sie ganz auf Strahlemann Omar Sy und treibt der Vorlage jedes abgründige Potential aus.

Es gibt Filme, denen man anmerkt, dass in ihre Realisierung offenbar viel Enthusiasmus und Energie geflossen sind, was das Resultat aber nicht vermittelt. So verhält es sich auch bei „Docteur Knock – Ein Arzt mit gewissen Nebenwirkungen“ von Regisseurin Lorraine Lévy. Ihr Film beruht auf dem französischen Bühnenstück „Knock“ (1923) von Jules Romains, dem sie leider jede noch so kleine bösartige Spitze ausgetrieben hat.

 

Info

 

Docteur Knock – Ein Arzt
mit gewissen Nebenwirkungen

 

Regie: Lorraine Lévy,

113 Min., Frankreich/ Belgien 2017;

mit: Omar Sy, Alex Lutz, Ana Girardot

 

Website zum Film

 

Das machen schon ihre Entscheidungen deutlich, die Handlung aus der Entstehungszeit in eine 1950er-Jahre-Idylle zu verlegen und die Hauptrolle mit Allzweck-Sonnenschein Omar Sy („Heute bin ich Samba“) zu besetzen. Er spielt einmal mehr einen früheren Kleinganoven; nach einem späten Medizinstudium übernimmt er im beschaulichen Städtchen St. Maurice die Praxis eines erfolglosen Kollegen.

 

Behandlung nach Kaufkraft

 

Erwartungsgemäß sind das Kaff gänzlich naturbelassen und seine Bewohner kerngesund. Das ficht den neuen, mit viel Chuzpe ausgestatteten Doktor nicht an, denn die hiesigen Provinzler sind auch wohlhabend. Das Schlitzohr mit untrüglichem Geschäftssinn führt kurzerhand die Segnungen der modernen Medizin im etwas rückständigen Städtchen ein, mithilfe von Dorfschullehrer und Apotheker.


Offizieller Filmtrailer


 

Das durchtherapierte Städtchen

 

Der Doktor nutzt raffiniert menschliche Schwächen zu seinem Vorteil; er gibt jedem Patienten, was er oder sie will, vor allem aber Anerkennung mitsamt dem Gefühl, wichtig und besonders zu sein. Nur der Pfarrer traut dem bald allseits beliebten Knock nicht über den Weg; in sein Unbehagen mischt sich auch Ärger über seine schwindende Allmacht in dieser Gemeinde.

 

Statt in die Kirche geht man nun zum Arzt. Er hat im Sprechzimmer drastische Bilder von furchterregenden Krankheiten aufgehängt und findet bei jedermann ein zu kuriendes Zipperlein – auch wenn es nur Langeweile bei reichen Nichtstuern ist. Bald floriert seine Praxis, und das Städtchen ist völlig durchtherapiert, bis unversehens ein alter Bekannter auftaucht.

 

Vorlage über Massenmanipulation

 

Vor diesem Herrn Lanski ist Knock einst wegen Spielschulden geflohen. Nun werden sie mit Zins und Zinseszins zurückgefordert; ansonsten droht der Gläubiger, Knocks kriminelle Vergangenheit zu enthüllen. Da muss sich der Halbgott in Weiß etwas einfallen lassen, denn er hat sich in die hübsche Magd Adele verguckt; sie scheint dummerweise die einzig wirklich Kranke in der gesamten Gegend zu sein.

 

Nach eigenen Worten wollte Lévy aus Romains‘ düsterem Stück, einer Parabel über Massenmanipulation und totalitäre Strukturen, etwas Heiteres machen. Doch ihre Bearbeitung fällt eher naiv aus, denn die Vorlage gäbe viel mehr her. Nicht zufällig haben Stoffe aus den 1920er Jahren derzeit Konjunktur – wegen vermeintlicher oder tatsächlicher Parallelen in gesellschaftlich unsicheren Zeiten.

 

Hautfarbe wird nie thematisiert

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Ein Dorf sieht schwarz" - originelle Migrationskomödie um farbige Arzt-Familie in der französischen Provinz von Julien Rambaldi

 

und hier eine Besprechung des Films "Monsieur Chocolat" - Biopic über den ersten schwarzen Clown von Roschdy Zem mit Omar Sy

 

und hier einen Bericht über den Film "Heute bin ich Samba" - beschwingte Tragikomödie über illegale Einwanderer in Frankreich von Olivier Nakache und Eric Toledano mit Omar Sy

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Schaum der Tage" - wunderbar verspielte Verfilmung des surrealen Roman-Klassikers von Boris Vian durch Michel Gondry mit Omar Sy.

 

Lévy macht aus dem bedrückenden Drama jedoch eine harmlose Boulevard-Kleinstadtkomödie ohne doppelten Boden; sie strotzt zudem vor Klischees der Epoche, in der sie spielt. Das Städtchen liegt idyllisch im Tal, von goldenem Licht eingehüllt; seine Bewohner sind arglos und leichtgläubig, der Pfarrer intrigiert, der Postbote säuft und liest heimlich alle Briefe.

 

Allein die Besetzung der Hauptrolle mit dem Kassenmagneten Omar Sy darf als gewollte Irritation gelten. Man unterhält sich zwar im Dorf darüber, dass er besonders groß, freundlich oder von guter Herkunft sei, doch seine Hautfarbe wird nie zum Thema – was in der Provinz der 1950er Jahre sehr unglaubwürdig anmutet. Die dauerlächelnde Nettigkeit des Helden raubt der Geschichte überdies alle kleinen Gemeinheiten, die zu einer überzeugenden Provinz-Posse dazu gehören.

 

Punkt Mittag Temperatur messen

 

Omar Sy ist für die Rolle eines Arztes mit krimineller Energie und Allmachtsphantasien einfach zu liebenswürdig. Die übrige personnage besteht aus augenrollenden Knallchargen, die dem charismatischen Schwerenöter nichts entgegenzusetzen haben. Selbst der Priester als einzig echter Widersacher tritt nur als ausgemachter Miesepeter auf.

 

Ein einziges Mal lässt die Geschichte ihr abgründiges Potential erahnen. Als Knock seinem Vorgänger sein System absoluter Gesundheitskontrolle erläutert, blickt er zufrieden auf die Stadt, die er inzwischen in der Hand hat; dabei zählt er die Schläge der Mittagsglocke, weil er weiß, dass in jedem Haushalt gerade Temperatur gemessen wird. Das ist auf grimmige Weise komisch; für den übrigen Film gilt das nicht.