Sandra Hüller + Franz Rogowski

In den Gängen

Marion (Sandra Hüller) schenkt Christian (Franz Rogowski) eine Geburtstagskerze. Foto: Zorro Filmverleih GmbH
(Kinostart: 24.5.) Mit dem Großmarkt-Gabelstapler zum kleinen Glück: Der Leipziger Regisseur Thomas Stuber inszeniert einfühlsam ein lakonisch-poetisches Liebesdrama über ostdeutsche Seelenlagen nach einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer.

Ein Großmarkt erwacht zum Leben; durch seine Gänge rollt ein einsamer Gabelstapler. Dazu erklingt der beschwingte Walzer „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauss. Da hat sich der Leipziger Regisseur Thomas Stuber ein großes Vorbild ausgesucht, in dessen Fußstapfen er musikalisch tritt: Regisseur Stanley Kubrick verwendete diese Melodie bereits 1968 für seinen Science-Fiction-Klassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“. Dagegen handelt „In den Gängen“ von ganz und gar irdischen Dingen: Einsamkeit, Arbeit, Zusammenhalt – und einer Ahnung von Liebe.

 

Info

 

In den Gängen

 

Regie: Thomas Stuber,

125 Min., Deutschland 2018;

mit: Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth

 

Weitere Informationen

 

Der „Frischling“ Christian (Franz Rogowski) wird dem altgedienten Bruno (Peter Kurth) aus der Getränkeabteilung zugewiesen. Von nun an verbirgt Christian seine großflächigen Tätowierungen jedes Mal vor Schichtbeginn sorgfältig unter seinem blauen Kittel. Denn: „So sieht dich der Kunde“ steht auf dem Spiegel im Umkleideraum. Für den jungen Mann ist der Job im Großmarkt die Chance auf einen Neubeginn – seine offenbar schwierige Vergangenheit bleibt allerdings ausgespart.

 

Zwielichtige am Rand der Gesellschaft

 

Regisseur Stuber übernimmt in seiner Verfilmung einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer dessen verknappten Erzählstil, der gerade durch Auslassungen die Fantasie des Lesers anregt. „In den Gängen“ ist nach dem Kurzfilm „Von Hunden und Pferden“ und dem Boxer-Porträt „Herbert“ – ebenfalls mit Peter Kurth in der Hauptrolle – bereits die dritte Zusammenarbeit der beiden Leipziger. Meyer und Stuber interessieren sich vor allem für mehr oder minder zwielichtige Figuren am Rande der ostdeutschen Gesellschaft.

Offizieller Filmtrailer


 

Solidarische Brigade-Mentalität

 

Der raubeinige, aber väterliche Bruno führt Christian in die Geheimnisse der Warenverräumung und des Gabelstaplerfahrens ein. Dabei begegnet der Neuling auch der unglücklich verheirateten Marion (Sandra Hüller) aus der Süßwaren-Abteilung. Vor einer Fototapete mit Palmenmotiv im Pausenraum entspinnt sich ein zarter Flirt zwischen Beiden, der ihren Kollegen nicht verborgen bleibt.

 

Überhaupt hält diese eingeschworene Gemeinschaft zusammen. Nicht, dass sie sich einander offenbaren würden, aber die Angestellten stehen auch ohne viele Worte füreinander ein. Zum Feierabend verabschiedet der Chef am Ausgang jeden Mitarbeiter mit Handschlag. Die solidarische Brigade-Mentalität aus ostdeutschen Großbetrieben lebt offenbar im Refugium dieses Großmarkts weiter. Wie sich im Verlauf der Handlung zeigt, bewahrt jedoch auch sie nicht vor dem Sturz in die Verzweiflung.

 

Zarte Annäherung in Sibirien

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Transit" - prägnantes Flüchtlings-Melodrama von Christian Petzold mit Franz Rogowski

 

und hier einen Bericht über den Film "Toni Erdmann" - eigenwillige Familien-Dramödie von Maren Ade mit Sandra Hüller

 

und hier einen Beitrag über den Film  "Als wir träumten" - mitreißendes Drama von Andreas Dresen um eine Leipziger Jugendclique nach einem Roman von Clemens Meyer.

 

Diesen speziellen Mikrokosmos erforscht der Film mit offensichtlicher Begeisterung. Von wenigen Szenen abgesehen, spielt er ausschließlich nachts im Markt, wenn keine Kunden vor Ort sind. Die Kamera von Peter Matjasko wandert die leeren, endlosen Gänge im ewigen Kunstlicht entlang und blickt auf hohe Regale hinauf. Das ästhetisiert und überhöht die profane Wirklichkeit: So traurig-schön wie hier sieht die Tristesse gesichtsloser Gewerbegebiete in der Realität nicht aus.

 

Stuber zelebriert geradezu die Melancholie dieser Unorte. Dabei erliegt er durchaus der Faszination seines Objektes; auf die Dauer wirken die langen Kameraeinstellungen etwas redundant. Trotzdem folgt man seinen Figuren gern bei ihren nächtlichen Arbeiten: sei es beim Sortieren diverser Nudelsorten oder beim Einräumen im „Sibirien“ genannten Tiefkühllager, wo sich Marion und Christian vorsichtig näherkommen.

 

Kaum in Nachwendezeit angekommen

 

Das liegt vor allem an den wunderbaren Schauspielern, die bis in die Nebenrollen sehr markant besetzt sind. Ihre knappen Dialoge künden von der schwierigen Lebensrealität der Charaktere; die wenigsten scheinen in der Nachwendezeit wirklich angekommen zu sein. Beim nächsten Besuch in einem dieser überdimensionalen Konsumtempel wird man wohl zwangsläufig an „In den Gängen“ denken – und sich zwischen den Regalen vielleicht an die stille Poesie dieses Films erinnern.