Rupert Everett + Colin Firth

The Happy Prince

Lord Alfred "Bosie" Douglas (Colin Morgan, li.) und Oscar Wilde (Rupert Everett) spazieren durch Neapel. Foto: © 2018 Concorde Filmverleih GmbH / Wilhelm Moser
(Kinostart: 24.5.) Untergang als schöne Kunst betrachtet: Nach zwei Jahren Haft war der Star-Literat Oscar Wilde ein gebrochener Mann. Sein Lebensende im Exil schildert Rupert Everett als Regisseur und Hauptdarsteller – sprunghaft, geistreich und voller Ironie.

The man they loved to hate: Oscar Wilde (1854-1900) war das berühmteste britische Justizopfer Ende des 19. Jahrhunderts. Ab 1880 hatte er die angelsächsische Welt mit seinem scharfzüngigen Esprit begeistert; seine Erzählungen, Komödien und Essays, die im Jahrestakt erschienen, waren allesamt Bestseller. Zugleich wurde Wildes extravagantes Auftreten und sein Bekenntnis zu radikalem Ästhetizismus eine beliebte Zielscheibe für Spott und Kritik.

 

Info

 

The Happy Prince

 

Regie: Rupert Everett,

105 Min., Deutschland/ Belgien/ Italien 2017;

mit: Rupert Everett, Colin Firth, Colin Morgan, Emily Watson

 

Website zum Film

 

1895 kam der Absturz: Der Vater seines Geliebten Lord Alfred Douglas provozierte ihn öffentlich. Wilde verklagte ihn wegen Verleumdung, verlor aber den Prozess; dann wurde er seinerseits wegen Unzucht angeklagt und zu zwei Jahren Zwangsarbeit im Zuchthaus verurteilt – aufgrund seines Umgangs mit Strichern. Als man ihn im Mai 1897 aus dem Gefängnis entließ, war er ruiniert: gesundheitlich, finanziell und sozial. Seine drei letzten Lebensjahre verbrachte er unter prekären Verhältnissen im Exil.

 

Regie-Debüt von Rupert Everett

 

Diesen drei Jahren ist „The Happy Prince“ gewidmet – und mit Wildescher Ironie betitelt: Als er 1888 das gleichnamige Kunstmärchen veröffentlicht hatte, galt er noch als glücklicher Prinz des Literaturbetriebs. Für Rupert Everett, der nach fast 40-jähriger Bühnen- und Leinwandkarriere erstmals Regie führt und zugleich die Hauptrolle übernimmt, ist der Film offenkundig ein Herzensprojekt; er hat es mit viel Liebe zum historischen Dekor und Detail ausgestattet.

Offizieller Filmtrailer


 

Außer Gefängnis-Ballade keine Zeile mehr

 

Ihn interessieren nicht Wildes Erfolge, sondern ihr Ausbleiben: Wie erträgt der frühere Gesellschaftslöwe seine allgemeine Ächtung? Wie kommt der geistreichste Autor englischer Sprache damit zurecht, dass seine funkelnden Bonmots im Ausland keiner versteht? Und wie lebt ein luxussüchtiger Dandy, wenn ihm dauernd die Pleite droht? Antworten sucht Everett in einer Form, die Wilde gewiss gefallen hätte: als lose Szenenfolge, die räumlich und zeitlich munter hin und her springt – bis zur nächsten Pointe.

 

Anfangs, als er nach Frankreich übersetzt, sieht alles noch viel versprechend aus. In der Hafenstadt Dieppe erwarten ihn seine Freunde Reginald „Reggie“ Turner (Colin Firth) und Robert „Robbie“ Ross (Edwin Thomas), versorgen ihn mit Kleingeld und schmieden große Pläne. Doch Oscar Wilde ist ausgebrannt; die Demütigung der Haft hat ihn unheilbar versehrt. Außer einer „Ballade vom Zuchthaus zu Reading“ wird er nichts mehr schreiben.

 

Mit Ex-Geliebtem in der Campania genießen

 

Stattdessen mutiert er zu einer Art Deluxe-Vagabund, der sich durch halb Europa treiben lässt und die Mittel dafür irgendwie zusammenschnorrt: Nie ist er um ein haltloses Versprechen oder eine gute Ausrede verlegen. Sein Charisma fasziniert noch immer, doch anstelle von Theatern und Salons sind nun Kneipen seine Bühnen. Wenn er in seiner eindrucksvollen Erscheinung auf den Tisch steigt, deklamiert und schmettert, jubeln ihm wildfremde Menschen zu.

 

In Neapel trifft er wieder mit Lord Alfred „Bosie“ Douglas (Colin Morgan) zusammen. Der 16 Jahre jüngere Beau kokettiert erst mit einer Fortsetzung ihrer Partnerschaft, lässt ihn dann aber sitzen – Wilde kann ihm nichts mehr bieten. Doch zuvor haben beide noch ausgiebig die natürlichen Reize der Campania genossen; fernab aller viktorianischen Prüderie und Doppelmoral.

 

Mit Absinth + Kokain aus der Apotheke

 

Hintergrund

 

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In der amüsantesten Szene feiern Oscar und Bosie mit gut gebauten und kaum bekleideten italienischen Jünglingen ein rauschendes Fest; mit viel Wein und Gesang, aber ohne Weib. Die Herbergsmutter stürmt herein und wettert gegen „Huren“, die sie hier vermutet. Als sie keine findet, bittet sie vielmals um Verzeihung für die Störung und wünscht den versammelten Herren noch einen schönen Abend.

 

So einfach kommt Wilde später in Paris nicht mehr zu seinem Vergnügen. Doch mit Absinth, Kokain aus der Apotheke und spannenden Geschichten kann er immer noch Waisenjungs um den Finger wickeln, die mitten in der Hauptstadt in Bretterverschlägen hausen. Der Regisseur Everett wertet oder denunziert das nicht, sondern zeigt es einfach als Sittenbild: Prostitution beider Geschlechter war damals in europäischen Metropolen allgegenwärtig.

 

Wie Lebens-Film vor innerem Auge

 

Und der Hauptdarsteller Everett spielt das genauso lustvoll aus wie seinen eigenen, unaufhaltsamen Verfall. Ihm ergibt sich Wilde ohne Gegenwehr; allenfalls kommentiert er ihn mit mokanten Aperçus. Seine letzten Worte in einem schäbigen Hotelzimmer sollen gewesen sein: „Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich.“

 

Ob sein Abgang durch Syphilis oder eine Hirnhautentzündung verursacht war, ist bis heute ungeklärt. Everett versammelt zum Schluss seine engsten Freunde um sich; sie treten alle mitfühlend, aber unsentimental auf. Ein geist- und würdevolles Ende trotz ärmlicher Kulisse: Vielleicht sah der Film seines Lebens, den Oscar Wilde auf dem Sterbebett vor seinem inneren Auge ablaufen sah, ganz ähnlich aus.