Hedy Lamarr gehörte zu den attraktivsten Schauspielerinnen des klassischen Hollywood-Studiosystems der 1930er und 40er-Jahre. Viele Leute hielten die 1914 als Tochter jüdischer Eltern in Wien geborene Lamarr sogar für die schönste Frau der Welt – so lautete zumindest der Werbeslogan von MGM. Rund siebenundzwanzig Jahre währte ihre Karriere, allein fast zwanzig Jahre arbeitete sie in der amerikanischen Traumfabrik.
Info
Geniale Göttin: Die Geschichte von Hedy Lamarr
Regie: Alexandra Dean,
86 Min., USA 2017;
mit: Hedy Lamarr, Mel Brooks, Jennifer Hom
Vulgäre Exotinnen
Oft genug traf sie selbst die falsche Rollenwahl, zudem hatte man in Hollywood offenbar auch keine rechte Idee, was man mit der schönen Europäerin wirklich hätte anfangen können. Die Rolle der netten Frau von nebenan hätte vielleicht ihre Nische sein können, doch ihr deutscher Akzent verhinderte, dass man sie als Amerikanerin besetzen konnte. Ihr blieben die mysteriösen Fremden und die schönen Exotinnen. Über ihren missglückten Auftritt als Eingeborene („I am Tondelayo“) in „White Cargo“ (1942) haben sich schon ganze Generationen von Filmliebhabern lustig gemacht. Und als Verführerin in Cecil B. DeMilles abstrusem Bibelschinken „Samson und Delilah“ (1949) wirkte sie lediglich plump und vulgär.
Offizieller Filmtrailer OmU
Torpedos gegen die Nazis
Nach dem Ende ihrer Karriere machte Lamarr dann fast nur noch negative Schlagzeilen: mit diversen Ehescheidungen, einer Reihe von missglückten Faceliftings, sowie einigen Ladendiebstählen, bei denen sie angeblich erwischt wurde. Dann stand sie für kurze Zeit noch einmal im Mittelpunkt des Interesses. Ihre letzten Jahre verbrachte sie in Florida, wo sie zurückgezogen lebte. Kontakt zur Außenwelt hielt sie in der Regel per Telefon.
Und vielleicht wäre Lamarr schon ganz vergessen, hätte sie gegen Ende ihres Lebens nicht noch einmal Aufmerksamkeit auf einem Gebiet bekommen, das man gemeinhin nicht mit Hollywood-Stars in Verbindung bringt: In den 1990er Jahren erhielt sie eine Reihe von Wissenschaftspreisen für ihre Erfindung eines Torpedoleitsystems, das sie gemeinsam mit dem Avantgarde-Komponisten Georges Antheil während des Zweiten Weltkriegs hatte patentieren lassen.
Grundlage für heutige Kommunikationstechniken
Ziel der Erfindung war es, Torpedos durch Funksignale auf ständig wechselnden Frequenzen zu steuern und dem militärischen Gegner damit die Ortung so schwer wie möglich zu machen. Damals hatte die US-Marine kein Interesse, das System kam nie zum Einsatz. Heute bildet das Prinzip des ständigen Frequenzwechsels die Grundlage für Kommunikationstechniken wie Wi-Fi und Bluetooth. Ob Lamarr selbst wissenschaftliches Interesse und entsprechende Kenntnisse entwickelt hatte oder ob sie in irgendeiner Weise an Pläne ihres ersten Ehemanns, eines Wiener Waffenfabrikanten, gelangt war, ist bis heute umstritten.
All dies kommt natürlich auch in dem Dokumentarfilm „Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr“ zum Tragen, in dem die amerikanische Regisseurin Alexandra Dean Leben und Wirken der Schauspielerin mit exzellentem Fotomaterial, vielen Gesprächspartnern sowie Auszügen aus einem unveröffentlichten Telefoninterview nachzeichnet. Dean präsentiert Lamarr dabei vor allem als emanzipierte Frau, deren Drang nach Freiheit sich in den vielen Brüchen ihrer Lebensgeschichte widerspiegelt.
Kaum überprüfbare Anekdoten
Hintergrund
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Selbst auf Lamarrs Kinder Anthony und Deedee Loder ist in dieser Hinsicht kaum Verlass, sie haben über die Jahre immer wieder unterschiedliche Dinge über das Leben mit ihrer Mutter erzählt. Und so ist es zumindest fraglich, ob die Regisseurin bei ihrer Interpretation nicht gelegentlich – bewusst oder unbewusst – bestimmte Mythen als Wahrheit ausgibt. Ankreiden muss man Dean in jedem Fall, dass sie den Eindruck erweckt, als sei „Ekstase“ ein etwas anrüchiges „dirty picture“ gewesen.
Unverstandenes Dasein
Doch genau dies ist das mit starker Natur- und Sexualsymbolik aufgeladene romantische Melodrama, dessen Plot um eine sehr selbstbestimmte Frau man durchaus auch als emanzipatorisch begreifen kann, definitiv nicht. Dass viele Dinge in Lamarrs Leben wohl eher verworren und obskur waren, macht die gradlinig daher kommende Dokumentation angreifbar, den Blick auf das unangepasste und vielleicht wirklich unverstandene Leben eines Hollywood-Stars aber nicht weniger unterhaltsam.