Ziad Doueiri

Der Affront

Toni (Adel Karam), Shirine (Rita Hayek) und Yasser (Kamel El Basha). Foto: © Alpenrepublik Filmverleih
(Kinostart: 25.10.) Ein Abflussrohr und die Folgen: Den absurden Streit zwischen einem christlichen Libanesen und einem Palästinenser entwickelt Regisseur Ziad Doueiri zu einer packenden Parabel auf Gesellschaften, die von rassistischer Gewalt geprägt sind.

Zwei Männer geraten aufgrund eines eigentlich belanglosen Zwischenfalls aneinander. Die Lebenserfahrungen beider Männer sind geprägt von Gewalt, Vertreibung und Hass. Doch sie verdrängen die Probleme ihrer Vergangenheit und werden in der Konfrontation zu Spielbällen ihrer Aggressionen. Ein Wort gibt das andere, schnell steht eine Beleidigung im Raum – und bald gibt es für keinen der beiden ein Zurück.

 

Info

 

Der Affront

 

Regie: Ziad Doueiri,

112 Min., Libanon/ Belgien/ Zypern/ Frankreich/ USA 2017;

mit: Adel Karam, Kamel El Basha, Rita Hayek

 

Website zum Film

 

Die Geschichte von Toni (Adel Karam) und Yasser (Kamel El Basha) spielt im Beirut von heute, einer Stadt, in der auch fast dreißig Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs noch nicht alle Wunden aus der Vergangenheit geheilt sind. Einerseits ist die Erzählung dabei durch die Bilder der Stadt, die Protagonisten und ihre politische Orientierung sehr konkret verortet. Andererseits funktioniert der Film des libanesischen Regisseurs Ziad Doueiri durchaus auch universell als Parabel auf die Konflikte in Gesellschaften, die von religiöser und rassistischer, vor allem aber immer von männlicher Gewalt geprägt sind.

 

Gefährliche Palästinenser

 

Toni, eigentlich ein liebevoller Ehemann und vorfreudiger werdender Vater, ist Inhaber einer Kfz-Werkstatt. Als libanesischer Christ engagiert er sich bei den nationalistisch-rechtskonservativen Forces Libanaises und sieht in den im Land lebenden Palästinensern die größte Gefahr für den sozialen Frieden und seine persönliche Seelenruhe. Bereits vor Jahren ist er aus der Provinz in ein von Korruption und baulichem Wildwuchs bestimmtes Stadtviertel gezogen, das seine Frau Shirine (Rita Hayek) lieber heute als morgen verlassen würde. Aber da ist für Toni, der behauptet, nur hier leben zu können, jede Diskussion schnell zu Ende.

Offizieller Filmtrailer


 

Absurder Streit um ein Abflussrohr

 

Das Stadtquartier auf Vordermann zu bringen, ist Aufgabe der Baufirma, für die Yasser, ein Mittfünfziger, der in Kairo Bautechnik studiert hat und als seriöser Fachmann gilt, als Vorarbeiter arbeitet. In seinem Job ist er es gewohnt, die eigenen hohen Ansprüche durchzusetzen, auch wenn sein Status aufgrund seiner palästinensischen Herkunft alles andere als sicher ist. Als Yasser vor Tonis Haus Anweisungen an sein Team für einen Arbeitseinsatz gibt, reinigt Toni über ihm den Balkon. Aufgrund eines illegal angebrachten Abflussrohres landet das Schmutzwasser auf Yasser.

 

Der Vorabeiter klingelt bei Toni, um dort zwei seiner Arbeiter das Abflussrohr richten zu lassen. Doch Toni schlägt ihnen die Tür vor der Nase zu, denn er hat an Yassers Akzent dessen Abstammung erkannt. Yasser lässt den Abfluss daraufhin von außen richten. Toni zertrümmert mit einem großen Hammer das neu in Richtung Regenrinne gelegte Rohr. Als Reaktion beschimpft Yasser ihn als Scheißkerl.

 

Ein politischer Prozess

 

Toni beschwert sich bei Yassers Chef (Talal Es Jurdi), der wiederum Yasser überredet, sich zu entschuldigen. Doch beim arrangierten Treffen beschimpft Toni Yasser und steigert sich so sehr in seine anti-palästinensischen Parolen hinein, dass Yasser rot sieht und ihn niederschlägt. Toni trägt zwei gebrochene Rippen davon, was seinen Zorn – sehr zum Unmut seiner Frau – nur noch mehr anstachelt. Shirine findet, es gäbe wirklich Bedeutenderes in ihrem gemeinsamen Leben, und auch Tonis Vater (Georges Daou) warnt: „So fangen Kriege an!“

 

Nach einem ersten Prozess, bei dem Yasser sich schuldig bekennt und freigesprochen wird, sieht Toni rot und rastet im Gerichtssaal aus – so ungerecht fühlt er sich behandelt. Er beauftragt den stadtbekannten Anwalt Wajdi Wehbe (Camille Salameh), der die Sache zum Schauprozess für seine eigene politische Agenda, beziehungsweise die der libanesischen Christen machen will. Eine Anwältin dient sich auch Yasser an, obwohl der eigentlich um Deeskalation bemüht ist. Aber sie erklärt ihm recht überzeugend, dass er als Palästinenser ohne ihre Hilfe keine Chance habe. Ein Prozess beginnt, in dessen Verlauf von den Anwälten immer tiefer in den seelischen Verletzungen der Streitenden gebohrt wird, die dabei immer stiller werden.

 

Zwischen Alltag und Gericht

 

Immer größer wird auch die Aufmerksamkeit, die der Fall in der Öffentlichkeit auf sich zieht. Bald kommt es vor dem Gerichtssaal zu ersten Tumulten und Schlägereien, die umgehend ihren Weg in die Medien und bis an höchste Regierungsstellen finden. Doch selbst als Toni nachts in seiner Werkstatt zusammenbricht und Shirine vor Schreck eine Frühgeburt erleidet, schafft er es nicht einzulenken. Noch neben dem im Inkubator liegenden Frühchen beharrt er darauf, ein Recht auf eine Entschuldigung zu haben.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Innen Leben - Insyriated" - packendes Syrien-Kriegsdrama von Philippe Van Leeuw

 

und hier einen Bericht über den Film “Zaytoun”  – über eine palästinensisch-israelische Freundschaft im Nahost-Konflikt von Eran Riklis

 

und hier einen Beitrag über den Film "Wer weiß, wohin?" - fantasievolle Tragikomödie über Frauenpower im Libanon von Nadine Labaki

 

Neben den zurecht hochgelobten Hauptdarstellern – Kamel El Basha erhielt für seine Rolle des Yasser 2017 unter anderem den Preis als „Bester Darsteller“ beim Filmfest in Venedig – arbeitet die zwischen Alltag und Gerichtssaal pendelnde Erzählstruktur die Charaktere plastisch und nachvollziehbar heraus. Szenen mit Ehefrauen, Arbeitgebern und Verwandten künden von großer Starrköpfigkeit und schwierigen Lebensumständen. Die Gerichtsszenen erlauben über die Plädoyers und das als Beweismaterial hinzugezogene Bildmaterial einen Zugriff auf weitere Zeitebenen.

 

Ähnliche seelische Verletzungen

 

So taucht der Film immer wieder und immer tiefer zu den Ursachen des Hasses ab. Denn beide Anwälte liefern fleißig Material, das belegen soll, dass der eigene Mandant als Opfer von Krieg und Massakern mehr zu leiden hatte als der andere – womit sie ihren Auftraggebern ein ums andere Mal erheblichen Schmerz zufügen. Durch die Konfrontation mit der Vergangenheit kommen sich die Protagonisten im Verlauf der Verhandlung soweit nahe, dass es ihnen schließlich zumindest in Ansätzen gelingt, im Anderen weniger den Feind als den Menschen mit Verletzungen zu erkennen, die den eigenen ähnlich sind.

 

Der Logik des Films entsprechend führt das allerdings nicht zu einem versöhnlichen Happyend. Aber als das Urteil schließlich verkündet wird, auf das landesweit alle angespannt warten, spielt es für die Protagonisten tatsächlich keine große Rolle mehr. Nicht zuletzt in seiner Erkenntnis, dass der Weg zur Aussöhnung schwierig ist und aus sehr kleinen Schritten der Aufarbeitung besteht, um die zäh – und vor allem mit sich selbst – gerungen werden muss, geht „Der Affront“ weit über einen spannenden Gerichtsthriller hinaus und liefert eine differenzierte Analyse der Situation im Libanon und im Nahen Osten.