Ulrich Köhler

In My Room

Armin (Hans Löw) verzichtet auf Pferdestärken mit Motorantrieb zur Fortbewegung. Foto: © Copyright: Pandora Film
(Kinostart: 8.11.) Der letzte Mensch auf der Welt: Ulrich Köhlers radikales Gedankenspiel schenkt seiner Hauptfigur grenzenlose Freiheit – zum Preis größtmöglicher Einsamkeit. Ein mutiges Kino-Experiment mit eindrucksvollen Schauspieler-Leistungen.

„There’s a world where I can go / And tell my secrets to / In my room / In my room / In this world I lock out / All my worries and my fears / In my room / In my room …“ Diese traurig-schöne Ballade der Beach Boys von 1963 trägt nicht zufällig den gleichen Titel wie der neue Film des deutschen Regisseurs Ulrich Köhler. Sein Protagonist Armin (großartig: Hans Löw) hat sich quasi in sich selbst eingeschlossen wie in einem Zimmer. Will er dennoch mit der Außenwelt kommunizieren, misslingt das oft.

 

Info

 

In My Room

 

Regie: Ulrich Köhler,

120 Min., Deutschland/ Italien 2018;

mit: Hans Löw, Elena Radonicich, Michael Wittenborn

 

Website zum Film

 

Als Kameramann in Berlin ist der 40-Jährige beruflich wenig erfolgreich, und auch privat gleicht er einem freischwebenden Atom ohne enge emotionale Bindungen. So schlurft er in seinem Parka durch den grauen November-Nieselregen, bis ihn ein dringender Anruf seines Vaters (Michael Wittenbom) in die alte Heimat zurück ruft. Die gut halbstündige Exposition wirkt wie eine nüchtern-realistische Befindlichkeitsstudie.

 

Jenseits der Zivilisation

 

Dann jedoch wagt der Regisseur einen radikalen Schnitt: Über Nacht sind plötzlich alle Menschen verschwunden, nur Armin ist noch da.  Warum, bleibt ungeklärt – es ist auch nicht wichtig. „In My Room“ ist kein Endzeitdrama, sondern ein Gedankenspiel, das durch erzählerischen Mut und eindringliche Schauspielleistungen glänzt: Was geschieht mit einem Menschen, der auf einmal alle Freiheit der Welt besitzt und an keinerlei zivilisatorische Regeln mehr gebunden ist? Wie setzt er sich ohne andere Menschen in Beziehung zur Welt und zur eigenen Zukunft?

Offizieller Filmtrailer


 

Vom Städter zum Naturburschen

 

Ulrich Köhler, dessen schmales Oeuvre bislang vier Langfilme in 16 Jahren umfasst, arbeitet stets mit vielen Auslassungen, die sich erst im Kopf der Zuschauer zusammensetzen. Dabei sind seine Milieuschilderungen stets präzise. Seine Figuren kommen früher oder später immer an einen Punkt, wo sie soziale Konventionen überschreiten. So beobachtet er in „Montag kommen die Fenster“ (2006) eine Ärztin beim halbherzigen Versuch, aus ihrem deutschen Mittelstandsleben auszubrechen. „Schlafkrankheit“ (2011) erzählt hingegen von Europäern, die in Afrika als Entwicklungshelfer mit dem kolonialen Erbe ringen und sich in der fremden Umgebung zunehmend selbst verlieren.

 

„In My Room“ ist eine konsequente Weiterentwicklung von Köhlers Erzählkosmos. Nachdem der Film seinen Protagonisten allein und zunächst verzweifelt in der Welt zurücklässt, macht er einen unbestimmten zeitlichen Sprung, der mit einer veränderten Bildsprache einhergeht. Lichtdurchflutete Naturaufnahmen zeigen einen paradiesischen Sommer. Armin lebt nun unweit seiner Heimatstadt in einem einfachen Haus mitten im Wald. Aus dem schlaffen Städter ist ein kerniger Naturbursche geworden.

 

Ein selbstbestimmtes Dasein

 

Ab und zu reitet er in die Stadt, um sich mit diversen Gütern zu versorgen. Verlassene Gebäude und Straßen, die immer mehr von Pflanzen überwuchert werden, erzeugen ein abgründig-romantisches Bild von der Vergänglichkeit menschlichen Schaffens. Die Szenenbildner haben hier ganze Arbeit geleistet, um mit recht einfachen Mitteln der ostwestfälischen Kleinstadt Vlotho einen überzeugenden postzivilisatorischen look zu geben.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Passengers" - aufwändige SciFi-Robinsonade von Morton Tyldum mit Chris Pratt + Jennifer Lawrence als Adam + Eva im Weltall

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Whispering Star" - elegische Schwarzweiß-Science-Fiction von Sion Sono

 

und hier eine Besprechung des Films "Ex Machina" – raffiniertes SciFi-Kammerspiel über künstliche Intelligenz von Alex Garland.

 

Armin geht es nach dem Verschwinden aller gesellschaftlichen Zwänge im Grunde besser als je zuvor. Er lebt die Utopie vom selbstbestimmten Dasein in der Natur – freilich um den Preis größtmöglicher Einsamkeit. Aber er war ja schon zuvor ein Einzelgänger. Diese durchaus irritierende Botschaft bricht der kammerspielartige Film immer wieder durch ein leises ironisches Augenzwinkern.

 

Die Gefahren der Liebe

 

In dieses fragile Gleichgewicht bricht eines Tages völlig unerwartet eine Frau ein. Kirsi (Elena Radonicich) ist zur Nomadin geworden. Armins Verbundenheit mit der heimatlichen Scholle und seine Bemühungen um ein ökologisch-korrektes Leben betrachtet sie skeptisch-belustigt. Diese beiden so starken wie gegensätzlichen Charaktere umkreisen einander als potenzielles Adam-und-Eva-Paar.

 

Insbesondere Armin ist bereit, endlich die Tür zu seinem Seelenzimmer aufzustoßen. Aber von den Verletzungen der eigenen Biografie sind auch die letzten Menschen nicht frei. So geht die größte Gefahr für sie weder von der Natur noch der Einsamkeit aus, sondern von der Liebe.