Lars von Trier

The House That Jack Built – Contra

Der Serienkiller Jack (Matt Dillon) mit Zeitungsartikeln über seine Mordserie. Foto: © 2018 Concorde Filmverleih GmbH / photo by Zentropa: Christian Geisnaes
(Kinostart: 29.11.) Großkünstler auf dem Egotrip: Aus einem Serienkiller-Krimi macht Skandal-Regisseur Lars von Trier einen Essayfilm, der das Böse verklärt – mit Bruno Ganz als Führer durch Dantes Höllenkreise und voller Geschmacklosigkeiten.

Filme über die Schrecken der Welt zu machen, ist ein nachvollziehbares Anliegen. Seit es Kunst gibt, gehört das Ausmalen und Bebildern aller erdenklichen Qualen und Finsternisse zu ihren Sujets. Keineswegs aber entsteht da, wo Gewalt explizit ins Bild gesetzt und die Namen von Menschheits-Ungeheuern entgegen den Regeln politischer Korrektheit angerufen werden, automatisch die Bedeutung, die sich der Regisseur erhofft haben mag.

 

Info

 

The House That Jack Built

 

 

Regie: Lars von Trier,

155 Min., Dänemark/ Deutschland/ Frankreich/ Schweden 2018;

mit: Matt Dillon, Bruno Ganz, Uma Thurman

 

Website zum Film

 

Lars von Trier liebt es, sich immer wieder als enfant terrible und unverstandenen Provokateur zu inszenieren. In Cannes hat er 2011 auf einer Pressekonferenz darauf beharrt, Hitler wirklich verstehen zu können, und sich damit einen – damals als lebenslänglich verkündeten – Ausschluss vom Festival eingehandelt. Seine Aussage hat er zwar in den folgenden Jahren abgemildert und sich entschuldigt. Dennoch spukt der Gröfaz auch durch von Triers neuen Film, mit dem er in diesem Jahr aufs Festival zurückgekehrt ist – „außer Konkurrenz“ des Wettbewerbs.

 

Möchtegern-Architekt mordet Anhalterin

 

„The House That Jack Built“ erzählt in fünf „Vorfällen“ und einem Epilog von Jack (Matt Dillon): Der Ingenieur wäre lieber Architekt und hält sich außerdem für einen großen Künstler – als Serienmörder. Vorfall Eins zeigt ihn als unsicheren und verstockt wirkenden Mann; er wird von einer durchaus anstrengenden Frau (Uma Thurman), die er als Anhalterin am Wegesrand aufliest, so lange provoziert, bis er sie mit ihrem eigenen Wagenheber erschlägt. Damit beginnt das Morden.

Offizieller Filmtrailer


 

Abgrundtiefe Gleichgültigkeit der Welt

 

Allerdings entwickelt Jack auch in der Rolle eines Killers kaum eine eigene Handschrift, sondern stolpert eher durch seine eigene Geschichte. Auch der Film wirkt unentschlossen, ob er sie als schwarze Komödie, Drama oder suspense story erzählen soll. Immerhin wird Jack aber von Vorfall zu Vorfall eloquenter und männlich unrasierter.

 

Dabei erscheinen sowohl seine Morde wie auch seine Nichtentdeckung in erster Linie dem Zufall geschuldet – oder der abgrundtiefen Gleichgültigkeit der Welt. Von der hat Jack ein tiefes Verständnis; das führt er im vierten Vorfall – seiner kurzlebigen Beziehung mit Jaqueline (Riley Keough), die er in jäh erwachtem Übermenschentum „Simple“ („Dummchen“) nennt – ausführlich vor Augen.

 

Hitler-Darsteller als Sparringspartner

 

Doch es gibt noch mehr, womit Jack sich auskennt: mit der abendländischen Kultur- und Kunstgeschichte, von ihren Ritualen und Techniken wie Jagd und Weinbau bis zu ihren ikonischen Kunstwerken und deren Schöpfern. Unter letzteren räumt Jack – selbstredend – Mao, Stalin und Hitler prominente Plätze ein.

 

Seine Ansichten und sein Handeln diskutiert Jack von Beginn an im Off mit einem gewissen Verge. Der wird gesprochen, und gegen Ende auch gespielt, von Bruno Ganz. Er ist seit „Der Untergang“ (2004) von Oliver Hirschbiegel der wohl bekannteste Hitler-Darsteller der jüngeren Kinogeschichte; als europäischer Großschauspieler bringt er das nötige Gewicht mit, um den Dialogen mit Jack auf dem Weg in die Hölle wahrhaft Dantesche Züge zu verleihen.

 

Eigene Filme im Kultur-Pantheon

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine positive Besprechung des Films "The House That Jack Built - Pro" von Lars von Trier

 

eine Rezension des Films "Nymphomaniac - Teil 1" - mit Charlotte Gainsbourg von Lars von Trier

 

und hier einen Beitrag über den Film “Nymphomaniac – Teil 2″ - von Lars von Trier mit Charlotte Gainsbourg

 

und hier ein Interview mit Charlotte Gainsbourg: “Ich war für anstößigen Sex zuständig” - über den Film "Nymphomaniac".

 

und hier einen Bericht über das Weltuntergangs-Epos "Melancholia" - von Lars von Trier mit Kirsten Dunst

 

Dieses Zwiegespräch umspielt und transzendiert die eigentliche Handlung. Verge oder Vergil hat hier eine ähnliche Rolle wie der Erzähler und Kommentator in von Triers letztem Film „Nymphomaniac“ (2014). Nur ist er als Führer durch die Höllenkreise, als der er sich entpuppt, deutlich weniger verständnisvoll; er widerspricht Jack, indem er darauf beharrt, dass zur Kunst die Liebe gehöre, entlarvt viele von Jacks Argumenten als letztlich schwache Entschuldigungen für seine Unzulänglichkeit und hält ihm insbesondere seine Unfähigkeit als Architekt vor.

 

Vor allem aber ermöglicht diese Konstruktion von Trier, neben dem Serienkiller-Plot einen Essayfilm zu installieren, in dem er Filmaufnahmen und Fotos von Persönlichkeiten der Weltgeschichte, Erklärvideos und Abbildungen großer Kunstwerke nach Belieben aneinander reiht. Sequenzen aus dem eigenen Œuvre – etwa die Qualen, die Willem Dafoe in „Antichrist“ (2009) erleidet, oder die Weltuntergangsszene aus „Melancholia“ (2011) – präsentiert der dänische Meisterregisseur in diesem Zusammenhang ganz selbstverständlich besonders prominent.

 

Männer machen Kunst, Frauen leiden

 

Keine Frage, dass hier einmal mehr alle Kunst- und Kulturträger als männlich und Frauen allein als Opfer auftreten dürfen. Klar ist auch, dass Jack am Ende sehr endgültig scheitern muss. Immerhin hierfür findet der Epilog nach mehr als zwei Stunden Spielzeit ohne wirkliche Höhepunkte eine fulminante Bildwelt.

 

Das reicht aber keinesfalls aus, um dem Großkünstlertum zu entsprechen, das zuvor Jack und sein Regisseur auf ihrem doppelten Egotrip behauptet haben. Oder wenigstens für die gebotenen Geschmacklosigkeiten zu entschädigen.