Fatih Akin

Der Goldene Handschuh

Na dann Prost: Fritz Honka (Jonas Dassler) schenkt einer Frau ein, die mit zu ihm nach Hause gegangen ist. Fotoquelle: Warner Bros. Pictures Germany
(Kinostart: 21.2.) Kinogänger der Republik, schaut auf diese Kneipe! Regisseur Fatih Akin verfilmt den Serienmörder-Roman von Heinz Strunk als präzise Studie des subproletarischen Trinkermilieus, das sonst stets ignoriert wird – samt allerhand abstoßender Details.

Eines lässt sich Regisseur Fatih Akin gewiss nicht vorwerfen: dass er gefälliges Kino mache, bei man sich gemütlich zurücklehnen und berieseln lassen könne. Akins Filme fordern immer zumindest eine Meinung heraus; sie sind darauf angelegt, genau das zu erreichen. So war das bei seinem letzten Film „Aus dem Nichts“ (2017) über die NSU-Mordserie, und so verhält es sich auch bei seiner Adaption des Romans von „Studio Braun“-Entertainer Heinz Strunk über den Hamburger Serienmörder Fritz Honka (1935-1998).

 

Info

 

Der Goldene Handschuh

 

Regie: Fatih Akin,

115 Min., Deutschland/ Frankreich 2018;

mit: Jonas Dassler, Marc Hosemann, Adam Bousdoukos

 

Weitere Informationen

 

Der entspricht so gar nicht dem Hollywood-Klischee vom intelligenten Killer mit Charisma. Dieser Fritz „Fiete“ Honka (Jonas Dassler) ist ein armes Würstchen. Er schielt, hat kaputte Zähne und eine seltsam verformte Nase. Wenn er jemals bei Verstand war, hat er ihn in Alkohol ertränkt. Den kann er sich aber leisten; er malocht als Hilfsarbeiter, was bei Frauen allerdings wenig zieht.

 

Bier + Sprit im zweiten Wohnzimmer

 

„Den würd‘ ich nicht mal anpinkeln, wenn er brennt“, sagt einmal eine Frau, der er einen Schnaps in seiner Stammkneipe „Der Goldene Handschuh“ ausgeben will. Hier auf dem Hamburger Kiez haben Gestalten wie Soldaten-Norbert (Dirk Böhling) oder Dornkaat-Max (Hark Bohm) ihr zweites Wohnzimmer; hier dämmern sie bei Bier und Hochprozentigem ihrem Ende entgegen.

Offizieller Filmtrailer


 

Es geht eine Träne auf Reisen

 

Hier gabelt Honka auch seine Opfer auf: meist einsame, ältere, unförmige Frauen, die nichts mehr vom Leben erwarten und denen die Aussicht auf mehr Schnaps und ein Bett reicht. Wenn es dann aber nicht nach Fietes Willen geht, die Frau ihn verspottet oder er keinen hochkriegt, schlägt er zu, bis sie für immer still ist. Dann legt er den Heuler-Hit „Es geht eine Träne auf Reisen“ von Adamo auf, trinkt sich Mut an und holt die Säge raus.

 

Mit der Stille nach seiner ersten Tat beginnt der Film. Der leblose Frauenkörper ist zu groß und schwer für einen Müllsack. Wie Honka ihn zersägt, ist nicht zu sehen; man hört nur, wie es knackt und saftig schmatzt. Die passenden Bilder entstehen im Kopf des Zuschauers; dazu werden sich im Lauf des Films auch noch eine Menge widerlicher Gerüche und Blut addieren.

 

Wie Quasimodo ohne gutes Herz

 

Honka deponiert Teile der Leiche auf einem verlassenen Grundstück, den Rest in einem Gelass unter dem Fenster seiner schäbigen Wohnung. Mindestens vier weitere Opfer werden zwischen 1970 und 1974 folgen; den Verwesungsgeruch in seiner Bude versucht er, mit unzähligen Wunderbäumen zu übertünchen.

 

Der Frauenmörder ist ohnehin schon äußerlich ein Typ, dem man alles zutraut. Häßlich, hinkend und gebückt, erinnert er ein wenig an Quasimodo, den „Glöckner von Notre Dame“ – nur dessen eigentlich gutes Herz hat Honka nicht. Dass in seinem Leben viel schief gelaufen ist, kann man nur erahnen. Im Gegensatz zum Roman liefert Filmemacher Akin, der auch das Drehbuch schrieb, keine Hintergrundgeschichte, sondern schildert neben Honkas Treiben krass ausführlich das Milieu, in dem Fiete unerkannt seine Morde begehen kann.

 

Den Kammerjäger kommen lassen

 

Nicht nur die erloschen dasitzenden Dauergäste im „Goldenen Handschuh“ sind speckig und verbraucht. Auch das teebraune Interieur dieser – im Studio nachgebauten – Kneipe wirkt, als müsse da dringend ein Kammerjäger durchgehen. Man kann die jahrzehntealten Ablagerungen von Nikotin, Alkohol und Erbrochenem förmlich riechen, wie auch den Muff selten gewaschener Haare und Klamotten. Im Radio dudeln Schlager. Hierher verirrt sich keiner, außer vielleicht mal ein Touristenpärchen oder Teenager in Abenteuerlaune, was als kuriose Abwechslung geschildert wird.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Aus dem Nichts" - mitreißendes Rachedrama zur NSU-Affäre von Fatih Akin mit Diane Kruger

 

und hier eine Besprechung des Films "Tschick" – herrlich anarchische Verfilmung des Jugendbuch-Bestsellers von Wolfgang Herrndorf durch Fatih Akin

 

und hier einen Bericht über den Film "The Cut" – ambitioniertes Melodram über den Völkermord an den Armeniern von Fatih Akin

 

und hier einen Beitag über den Film "The House That Jack Built" – komplexes Essay-Porträt eines Serienkillers von Lars von Trier.

 

Mitunter erinnert das an Ausstattungsfilme über die Ex-DDR; offensichtlich war auch in der Bundesrepublik der 1970er Jahre das Wirtschaftswunder nicht überall angekommen. Dabei lenkt Regisseur Akin die Aufmerksamkeit auf die in der Kneipe gestrandeten Nebenfiguren; solche Gestalten gibt es überall, doch werden sie normalerweise in der Wahrnehmung ausgeblendet.

 

Minutenlanger Überlebenskampf

 

Auf der Leinwand springen sie das Publikum in ihrer ganzen jämmerlichen Präsenz förmlich an, haarscharf an der Grenze zur Karikatur. Wobei Akin sie völlig ernst nimmt und keine Sekunde lang der Lächerlichkeit preisgibt – dadurch bleiben sie lange im Gedächtnis.

 

Auch Honkas weibliche Opfer bekommen Raum. Besonders eindrücklich ist die Figur einer KZ-Überlebenden, die er zum Trinken einlädt und später mit zu sich nach Hause nimmt. Für sie zeigt der Mörder sogar so etwas wie Mitgefühl, bis sie ihn beleidigt. Ihrem Überlebenskampf muss man minutenlang zusehen, bis sie ihren letzten Atemzug ausstößt.

 

Schwer erträgliches Elend

 

Wer die Romanvorlage kennt, den wird die Brutalität der Verfilmung wenig überraschen. So viel abstoßendes Elend ist schwer erträglich; es ruft nicht nur bei den besonders drastischen Szenen Ekel hervor. Dennoch: Was Akins Milieustudie von herkömmlichen Serienmörder- und Horror-Thrillern positiv abhebt, ist sein ernsthafter, genauer Blick auf die Gestrandeten der Gesellschaft.