Charlotte Gainsbourg

Frühes Versprechen

Romain Gary (Pierre Niney) und seine Mutter Nina Owczinski (Charlotte Gainsbourg) bei der Luftwaffe. Foto: © Camino Filmverleih
(Kinostart: 7.2.) Muttersohn und Abenteurer: Regisseur Eric Barbier nimmt sich Romain Garys wildes Leben vor. Der war unter anderem Schriftsteller, Diplomat und Kampfpilot; im Mittelpunkt steht jedoch die so enge wie ambivalente Beziehung zu seiner Mama.

„Mit der Mutterliebe macht einem das Leben ein frühes Versprechen, das es nicht halten wird.“ Dieser berühmt gewordene Satz stammt aus dem autobiografischen Roman „Frühes Versprechen“ des französischen Autors Romain Gary (1914-1980), der als vielfach ausgezeichneter Schriftsteller, Diplomat, Kriegsheld und Regisseur eine außergewöhnliche Karriere machte.

 

Info

 

Frühes Versprechen

 

Regie: Eric Barbier,

130 Min., Frankreich 2017;

mit: Charlotte Gainsbourg, Pierre Niney, Didier Bourdon

 

Website zum Film

 

In diesem Werk von 1960 vermischt sich Reales und Fiktives zu einem Schelmenstreich. Das Rätseln, was Wahrheit und was Dichtung ist, trägt maßgeblich zum Charme des Buches bei. Eine Lebensgeschichte, die so unwahrscheinlich und außergewöhnlich ist, dass man mitunter an Forrest Gump oder Münchhausen denken muss, auch wenn einige der unwahrscheinlichsten Episoden historisch verbürgt sind.

 

Ein Weltkrieg, viele Länder

 

Regisseur Eric Barbier hat diese literarische Vorlage zu einem bombastischen Film mit 24 Millionen Euro Produktionskosten verarbeitet, der klotzt und nicht kleckert. Ein phantasievolles, humoriges Epos, so märchenhaft wie realitätsnah: Mehr als 30 Jahre umfasst die Geschichte, die sich in mehreren Ländern und während des Zweiten Weltkrieges abspielt. Sie erzählt vor allem von einer exzentrischen Mutter und ihrer unerschütterlichen Liebe zu ihrem Sohn.

Offizieller Filmtrailer


 

Junge muss Genie werden

 

Romain Gary wird als Roman Kacew 1914 im damals russischen Wilna (heute Vilnius) geboren; 1920 wird die Stadt von Polen besetzt. Mit seiner Mutter Nina (Charlotte Gainsbourg) lebt Romain in ärmlichen Verhältnissen im jüdischen Viertel. Der Vater hat die beiden verlassen; Mutter und Sohn verbindet eine ungewöhnliche Nähe. Die ist von Liebe, aber auch von großer Strenge geprägt.

 

Nina ist davon überzeugt, dass ihr Sohn ein Genie ist; der zwölfjährige Roman (Pawel Puchalski) fügt sich in ihre ehrgeizigen Pläne. Verschiedene Karriereoptionen werden erwogen. Dann entscheidet Nina, dass ihr Sohn ein berühmter Schriftsteller und zudem Botschafter von Frankreich werden soll.

 

Loyal zur Helikopter-Mutter

 

Die energische und exzentrische Frau träumt von einem Leben am Mittelmeer und trichtert dem Jungen ein, dass er berühmt, reich und erfolgreich werden muss, wenn er sie glücklich machen wolle. Traumgleich muten die Bilder an, mit denen Regisseur Barbier die Kindheit von Romain Gary nachzeichnet.

 

Dabei gelingt es ihm, die komplexe Dynamik zwischen Mutter und Sohn zu vermitteln. Nina bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und unerschütterlicher Loyalität. Die Umwelt reagiert verwundert und belustigt; der kleine Roman muss sich oft für seine Mutter schämen. Heute würde man wohl von einer Helikopter-Mutter sprechen, so erdrückend ist ihre Präsenz.

 

Sonnige Zeiten

 

Dabei spürt Roman, dass ihre Forderungen einer bedingungslosen Liebe entspringen; er lernt, Spott und Häme auszublenden. Auch erkennt er, dass es die eine oder andere Lüge braucht, um Nina glücklich zu machen, weshalb er eine blühende Phantasie entwickelt.

 

Als Roman 14 Jahre alt ist (jetzt gespielt von Nemo Schiffman), gelangen Mutter und Sohn mit einem Touristenvisum nach Nizza. Sonnigere Zeiten beginnen. Nina führt ein kleines Hotel und scheint einer besseren Zukunft näher gekommen zu sein. Roman arbeitet an seinen schriftstellerischen Fähigkeiten und sammelt erste erotische Erfahrungen.

 

Krieg stört Ambitionen

 

In einer burlesken Szene erwischt Nina ihren Sohn mit dem Hausmädchen und fährt daraufhin ihre Mutterklauen aus. Charlotte Gainsbourg spielt die willensstarke, exaltierte Nina mit einer beeindruckenden Körperlichkeit. Die sonst eher zarte Schauspielerin ist hier mit breiter Hüfte und großem Busen ausgestattet; zudem raucht sie wie ein Schlot. Da ist man als Zuschauer hin- und hergerissen zwischen Bewunderung für und Entsetzen über diese fast monströs wirkende Frau. 

 

Hintergrund

 

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Mit 20 Jahren erhält Romain (ab jetzt von Piere Niney gespielt) die französische Staatsbürgerschaft. Er beginnt ein Studium in Paris; eine seiner Kurzgeschichten wird von einer Zeitung gedruckt. Doch die politischen Entwicklungen in Europa vereiteln erst einmal seine literarischen Ambitionen. 1938 leistet er seinen Militärdienst ab; als Anhänger von General de Gaulle flieht er 1940 nach Algerien. Die Kriegsjahre verlebt er in Casablanca, England, Libyen, Abessinien, Syrien und Palästina.

 

Komplex verzettelt

 

Der Krieg trennt Mutter und Sohn; Nina erkrankt. Inmitten der Kriegswirren schreibt Romain besessen an seinen ersten Roman „Education Européenne“. Tatsächlich findet dieser einen Verleger; das Buch wird 1945 veröffentlicht. Stolz schreibt er seiner Mutter, dass er endlich als Autor Erfolg habe.

 

Doch Nina scheint darauf nicht einzugehen; immer merkwürdiger wird ihr Briefwechsel. Der Grund dafür offenbart sich erst nach Kriegsende, als Romain wieder nach Nizza kommt und feststellen muss, dass es Ninas Hotel nicht mehr gibt.

 

Lebensziel erreicht

 

„Frühes Versprechen“ besticht vor allem durch die exzellente Besetzung, die anspruchsvoll inszenierten Bilder und eine herausragende Ausstattung. Man könnte dem Film allenfalls vorhalten, dass er etwas lang geraten ist und sich Regisseur Barbier angesichts der Komplexität der Geschichte bisweilen verzettelt.

 

Doch vielleicht ist das leicht Mäandernde die einzig konsequente Form, sich einem solch abenteuerlichen Leben zu nähern. Romain Gary erreicht tatsächlich alles, was sich seine Mutter erträumt hat. Mit 66 Jahren wird er sich das Leben nehmen. In seinem Abschiedsbrief heißt es: „Ich habe mich endlich vollständig ausgedrückt!“