Berlin

Objects of Wonder: British Sculpture from the Tate Collection. 1950s – Present

David Annesley: Swing Low, 1964, Stahl, bemalt, 1283 x 1759 x 368 mm,© David Annesley. Foto: © Tate Images credit. Fotoquelle: PalaisPopulaire, Berlin
Last exhibition before Brexit: Das PalaisPopulaire Unter den Linden präsentiert einen kompakten Überblick über britische Bildhauerei seit den 1950er Jahren bis heute. Ihre Entwicklung verläuft analog zur internationalen Szene – aber mit ganz eigenem Humor.

Teatime is over: Ein silbernes Teekännchen lässt Cornelia Parker an den weißen Klippen von Dover hinunterfallen. Unten fischt sie das verbeulte Objekt, nun unbrauchbar geworden, vom Strand. Ist das schon Skulptur? Seine Blessuren stellt das Gefäß auf vornehmen Füßchen stolz aus. Auch einen Silberlöffel hat die britische Künstlerin traktiert; ihr fragiles Drahtgespinst ist als Besteck nicht wieder zu erkennen.

 

Info

 

Objects of Wonder. British Sculpture from the Tate Collection 1950s – Present

 

01.02.2019 - 27.05.2019

täglich außer dienstags

10 bis 19 Uhr,

donnerstags bis 21 Uhr

im PalaisPopulaire,
Unter den Linden 5, Berlin

 

Katalog 26 €

 

Weitere Informationen

 

Unbehagen und Witz der Dinge: Das PalaisPopulaire will sein Publikum zum Staunen bringen. Mit rund 70 „Objects of Wonder“ aus Großbritannien: Kurz bevor der Brexit den deutsch-britischen Kulturaustausch zu kappen droht, hat das Tate-Museumskonglomerat mit Ablegern in drei Städten ein Care-Paket aus Skulpturen seit 1950 nach Berlin geschickt.

 

Unbekannte im Sortiment

 

Das Treibgut aus den Ateliers der Nachkriegsmoderne und Gegenwart besticht durch Vielfalt: Britische Skulptur erweist sich als überaus phantasievoll, heiter, provokant, erfinderisch oder aggressiv. Zwar sind Bildhauer und Künstler wie Henry Moore, Tony Cragg, Richard Deacon oder Superstar Damien Hirst auch hierzulande berühmt. Aber die Tate-Kuratoren bieten auch Unbekannteres – ist es mehr als ein Gemischtwaren-Sortiment made in Great Britain?

Impressionen der Ausstellung; © Palais Populaire


 

Pro Künstler nur eine Arbeit

 

Als die Deutsche Bank im September 2018 ihr neues Ausstellungshaus im generalsanierten Kronprinzessinenpalais Unter den Linden eröffnete, breitete sie die Schau „The World on Paper“ allzu üppig aus. Die dicht gedrängte Überfülle von Grafik-Arbeiten nervte und ermüdete mit dem Anspruch, möglichst viel von den eigenen Beständen zu zeigen. Droht ein Zweitaufguss dieses Konzepts, jetzt mit Plastiken?

 

Nein: Die verwinkelten Stellwände sind verschwunden; der Blick kann schweifen, die Werke atmen freier. Trotzdem wird den Besuchern zugemutet, sich vom Untergeschoss bis zum ersten Stock in einer ziemlich heterogenen Mischung zurechtzufinden. Pro Künstler wird je eine Arbeit gezeigt – das sorgt für ein Wechselbad der Konzepte und Skulpturen. 17 der ausgestellten Werke wurden von Künstlerinnen geschaffen.

 

Schaum-Plastik aus Seifenblasen

 

Im Untergeschoss duftet es dezent nach Seife. Hier schäumt ein Remake vor sich hin: David Medalla baute 1961 die Skulptur einer Seifenblasen-Maschine. Im Schneckentempo wälzt sie ein fragil-flüchtiges Schaumvolumen als amorphe Plastik in die Höhe. Damit löst sich das klassisch gewichtige Prinzip der Bildhauerei buchstäblich in Luft auf.

 

Wie sich Britanniens Künstler im Lauf des 20. Jahrhunderts von der Tradition emanzipierten, machen am Anfang der Ausstellung frühe Arbeiten der Zwischenkriegs-Generation nachvollziehbar. Eine wunderschöne, kleine Alabasterarbeit von Henry Moore ruht hier neben einer spröden Assemblage aus Fundstücken von der weniger bekannten Eileen Agar und einer kaum 15 Zentimeter großen Arbeit von Barbara Hepworth.

 

Wie kriegsversehrter Roboter

 

„Geometry of fear“ („Geometrie der Angst“) nannte der Kunsthistoriker Herbert Read 1952 den Existenzialismus der Nachkriegs-Bildhauer: Der Krieg steckte allen noch in den Knochen. Elisabeth Frinks Bronze „Bird“ kauert mit angelegten Flügeln wie im eisigen Gegenwind. Geoffrey Clarke skelettierte eine „Woman“ zum abstrakten Formengerüst. Und der „Cyclops“ von Eduardo Paolozzi stakst steif wie ein kriegsversehrter Roboter. Von solchen Albträumen löste sich die nächste Generation.

 

Nun arbeitet man mit Materialien wie Plexiglas, Messingdraht oder Sperrholz. Knallgelb bringt Antony Caro eine konstruktivistische Form in seiner Stahlskulptur „Yellow Swing“ zum Tanzen. Auch andere greifen zum Schweißbrenner – oder sie lachen über Industrie-Werkstoffe: Die rosige Riesenspirale „Tra-La-La“ von Philip King verquirlt respektlos abstrakte Traditionen. Pop Art lässt grüßen.

 

E-Gitarre aus Waschmaschine

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Henry Moore - Impuls für Europa" - ausgezeichnete Werkschau im LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Tony Cragg: Parts of the World" - umfassende Retrospektive des britischen Bildhauers im Von der Heydt-Museum, Wuppertal

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Kapoor in Berlin" mit Groß-Skulpturen und -Installationen des britisch-indischen Künstlers Anish Kapoor im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Besprechung des Films "Richard Deacon – In Between" – beeindruckende Doku über verschlungene Raum-Skulpturen des britischen Künstlers von Claudia Schmid

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Richard Long: Berlin Circle & Land Art" – Monumental-Installationen des Land-Art-Künstlers im Hamburger Bahnhof, Berlin.

 

In den 1970er Jahren ist der Betrachter auch als Mittäter gefragt. Vorgeblich: Tatsächlich darf man die handlichen Mitmachskulpturen von Paul Neagu aus Mosaiksteinchen im Holzrahmen nicht anfassen. Die radikal neuen Ansätze der „Land Art“ lassen sich nur auf Fotos zeigen; etwa ein Handstand von Rose Finn-Kelcey am Strand. Der eigene Körper wird nun zur Skulptur: Antony Gormley formt schlicht seinen Leib ab. Diese Plastik liegt einfach herum, ohne Sockel.

 

Schnöde Alltagsdinge werden ebenfalls zur Kunst geadelt: durch die Tücke des Objekts. Zwei Zinkeimer verbinden sich zum surrealen Siamesische-Zwillinge-Objekt. Aus einer alten Waschmaschine wird mittels Blechschere eine E-Gitarre geschnippelt. Natürlich fügt sich das in damals vorherrschende Kunstströmungen ein, aber die Briten haben doch ganz eigenen Humor.

 

Brustimitate mit Zigaretten ausstopfen

 

Noch bunter trieben es die „Young British Artists“ (YBA) in den 1990er Jahren: Die cleveren Selbstvermarkter verschafften sich mit kalkulierten Skandalen schlagartig weltweites Aufsehen. YBA-Starkünstler Damien Hirst schockiert hier nicht mit einem Tigerhai in Formaldehyd, sondern präsentiert Schränke voller medizinischem Anschauungsmaterial.

 

Farbechte Kunststoffmodelle von Körperteilen, Hautpräparaten und Föten im Uterus machen deutlich, dass nicht nur die Bildhauerei plastische Abbilder des Körpers erzeugt. Stärker unter die Haut geht der Anblick des stählernem Baby-Klinikbetts von Mona Hatoum: Es gleicht einem Foltergerät. Einem Sperrholzstuhl schnallt dagegen Sarah Lucas einen BH mit prallen Brustimitaten um, die sie mit Zigaretten ausstopft – igitt! Bei der Suche nach noch nie benutztem Material schrecken manche Künstler vor nichts zurück.

 

Guter Epochen-Überblick

 

Diese „Objects of Wonder“ provozieren, fordern den Betrachter heraus und bereiten ihm auch Vergnügen. Dass die Auswahl willkürlich erscheint, versteht sich von selbst; zu groß ist die Bandbreite dessen, was britische Künstler seit 1950 geschaffen haben. Doch die beherzte, straffe Zusammenstellung gibt einen exemplarischen Überblick über die Entwicklung der Gattung in mehr als einem halben Jahrhundert – nicht nur in Großbritannien.