Lars Eidinger

All my Loving

Die Geschwister Julia (Nele Mueller- Stöfen), Tobias (Hans Löw) und Stefan (Lars Eidinger) im Restaurant. Foto: © Jens Harant / Port au Prince Pictures
(Kinostart: 23.5.) Kulturprekariat trifft auf Helikopter-Frauchen: Regisseur Edward Berger blickt so warmherzig wie sarkastisch auf ein Geschwister-Trio in der Midlife-Crisis – und übersetzt erfolgreich den Sound der US-Ostküste in deutsches Kino.

Die Geschwister Hoffmann leben in Hamburg, Milieu: gehobene Mittelschicht. Dabei gibt es Ausreißer ins Luxuriöse: Stefan (Lars Eidinger) ist Pilot mit einem entsprechend hochfliegenden, oberflächlichen Lifestyle. Beziehungsweise ins Kulturprekariat: Tobi (Hans Löw) hat drei Kinder, sitzt aber mit 39 Jahren immer noch nachts an seiner Philosophie-Diplomarbeit. Das Geld bringt seine Frau nach Hause.

 

Info

 

All my Loving

 

Regie: Edward Berger,

118 Min., Deutschland 2019;

mit: Lars Eidinger, Nele Mueller-Stöfen, Hans Löw

 

Website zum Film

 

Julia (Nele Mueller-Stöfen; sie hat gemeinsam mit Regisseur Edward Berger das Drehbuch geschrieben) bleibt ohne genauer definierten Beruf. Stattdessen hat sie aber einen ausgeprägten Hundefimmel, ein entsprechendes Helikopter-Frauchen-Syndrom sowie hypochondrische Anwandlungen.

 

Traurigkeit des Menschseins

 

„All my Loving“ macht kurz und knapp schon im Untertitel klar, worum es geht: „Eine Geschichte von drei Geschwistern“. Edward Berger erzählt diese Familienkiste als Episodenfilm; eine Ouvertüre, drei Hauptakte – einer für jedes der Geschwister – und ein Epilog. Es geht um Verlusterfahrungen und Ängste, die hier jedoch den Stoff für eine Komödie liefern. Man kann „All my Loving“ als warmherzigen Film verstehen, der seinen Humor aus der existenziellen Traurigkeit des Menschseins schöpft.

Offizieller Filmtrailer


 

Mitleid über Gegensprechanlage

 

Pilot Stefan will nicht wahrhaben, dass er wegen eines Ohrenleidens nicht mehr fliegen darf. Darum setzt er sich trotzig, als wäre nichts passiert, jeden Abend in seiner Uniform an eine Hotelbar und lässt sich von Frauen mit aufs Zimmer nehmen. Morgens kurvt er im Porsche nach Hause – und hat offenbar verdrängt, dass in seiner designmöblierten Wohnung diesmal wortwörtlich die Kacke am Dampfen ist. Eigentlich sollte er sich nämlich um Julias Hund kümmern, während sie mit ihrem Mann für ein Romantikwochenende nach Turin gereist ist.

 

Die beiden wollen in Italien nach einem traumatisierenden Verlust wieder zueinander finden. Aber stattdessen geht es bei ihrem Ausflug bald nur noch um einen Ersatz-Wauwau, den Julia von der Straße weg adoptiert. Tobi darf sich währenddessen allein in die alte Heimat aufmachen, um bei den Eltern, vor allem seinem gesundheitlich angeschlagenen Vater, nach dem Rechten zu sehen. Zum Dank wird er von dem Patriarchen als Nichtsnutz beschimpft und muss sich von fremden Menschen über die Gegensprechanlage erklären lassen, was Sache ist: „Sie tun mir einfach nur leid.“

 

Beiläufige Komik trifft auf Drama

 

Berger erzählt all das ziemlich entspannt und emphatisch zugleich. Er studierte Regie in New York, assistierte danach bei Filmen von Ang Lee und Todd Haynes. Sein letzter Kinofilm war „Jack“, der 2014 im Wettbewerb der Berlinale lief: die Geschichte eines Zehnjährigen, der von seiner Mutter vernachlässigt wird und sich allein mit dem kleinen Bruder durch die Großstadt schlägt. Danach führte Berger Regie bei einigen TV-Serien, unter anderem bei den ersten Episoden von „Deutschland 83“; diese Spionage-Serie erregte unter anderem dadurch Aufmerksamkeit, dass die Lizenz der deutschen Originalfassung an einen US-Sender verkauft wurde.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Wie gut ist deine Beziehung?" – charmante Sittenkomödie über Selbstoptimierung von Ralf Westhoff

 

und hier eine Besprechung des Films "Frances Ha" – wunderbar leichthändige Bohemien-Tragikomödie in New York von Noah Baumbach

 

und hier einen Bericht über den Film "Wonder Wheel" – Tragikomödie über amouröse Wirren in 1950er-Jahre-Retro-Kulisse von Woody Allen

 

und hier einen Beitrag über den Film "Das Haus am Meer" – subitiles Familiendrama über drei Geschwister in einer Bucht bei Marseille von Robert Guédiguian.

 

Mit „All my Loving“ übersetzt Berger einen US-Ostküsten-Tonfall in den deutschen Kinokontext. Er selbst nennt die Filmemacher Noah Baumbach und Woody Allen als Referenzen. Sein Film ist geprägt von einer Art zynischer Wärme. Berger erweist sich als genauer Beobachter von Beiläufigkeiten, in denen gleichermaßen Komik und Drama steckt. Es hat einen Beiklang von Sozialstudie, wie er in ruhigen, detailreichen Bildern, meist mit statischer Kamera, Situationen einfängt.

 

Variation vom Werden und Vergehen

 

Dieser Eindruck mag auch damit zu tun haben, dass die Handlung angenehm vor sich hin plätschert und nie mit besonderer Dringlichkeit vorangetrieben wird. Mitunter fragt man sich, worauf die Geschichte hinaus laufen soll. Aber dann freut man sich wieder an den Farben, die satt sind, ohne aufdringlich zu wirken. An der tollen Fotografie. An den Gags, die mit der nötigen Schärfe und Übertreibung gesetzt sind, ohne mit der melancholischen Grundstimmung des Films zu brechen.

 

Der Filmtitel zitiert die Beatles. „Close your eyes and I’ll kiss you/ Tomorrow I’ll miss you“: So unbeschwert klingen Paul McCartneys Songzeilen über Abschied und Verlust. Auch Bergers „All my Loving“ versucht sich an leichter, schwarzhumoriger Poesie. Der Film ist eine Variation auf das Thema vom ewigen Werden und Vergehen, auf das Wunder Mensch. Ihm gelingt eine ästhetische und dabei ziemlich vollkommene Inszenierung all der Nichtigkeiten, der großen Gefühle und des Schwachsinns, die man zusammengenommen Leben nennt. Das ist nicht wenig.