Berlin

Emil Nolde: Eine deutsche Legende – Der Künstler im Nationalsozialismus

Emil Nolde: Verlorenes Paradies, 1921; © Nolde Stiftung Seebüll, Foto: Walford/ Dunkelberg. Fotoquelle: SMB
Der entartete Nazi: Der Expressionist Emil Nolde war NSDAP-Mitglied und Hitler-Fan – nach Kriegsende stilisierte er sich erfolgreich zum Regime-Gegner. Seine Lebenslügen dokumentiert der Hamburger Bahnhof in einem detailreichen Schau-Prozess.

Ach, Nolde! Soll man ihn lieben oder hassen? Er hat großartig glühende Farblandschaften gemalt und wurde von den Nazis als „entartet“ verfemt. Aber Nolde war auch überzeugter Antisemit, hielt Hitler bis zum Kriegsende die Treue und tischte nach 1945 Lügengeschichten auf, die alle Liebhaber seiner Kunst nur allzu bereitwillig glaubten.

 

Info

 

Emil Nolde: Eine deutsche Legende -
Der Künstler im Nationalsozialismus

 

12.04.2019 - 15.09.2019

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart, Berlin

 

Katalog + Quellenband
je 45 €

 

Website zur Ausstellung

 

Mittlerweile hat Angela Merkel ein saftiges Seestück des Malers von 1936 in ihrem Kanzleramts-Arbeitszimmer abgehängt. Das wilde Meerestosen ist in den Hamburger Bahnhof umgezogen. Dort bildet das Gemälde den Schlusspunkt einer Ausstellung, die von genialem Talent, kruder Deutschtümelei und Machtstreben erzählt.

 

Große Kunst + fiese Heimtücke

 

Bei Nolde verquicken sich hinreißende Malerei, geschickte Selbstinszenierung und skrupellose Anbiederung so perfide, dass sich beim Rundgang bisweilen die Nackenhaare aufstellen. Dass Nolde NSDAP-Mitglied war, wusste man längst; doch diese Schau breitet zahlreiche widerwärtige Details aus.

 

Großreinemachen auch in der „Ada und Emil Nolde-Stiftung“ in Seebüll, wo der Nachlass verwaltet wird: Stiftungschef Christian Ring, der seit 2013 amtiert, will nicht länger mitmalen am verfälschenden Bild des Künstlers als NS-Opfer, das sein Haus jahrzehntelang mit vertrat. Alle Archivbestände wurden geöffnet, darunter auch sämtliche Briefe, und von den  Historikern Bernhard Fulda und Aya Soika jahrelang ausgewertet. Eine erste Zwischenbilanz zog das Duo mit einer umfangreichen Nolde-Retrospektive 2014 im Frankfurter Städel-Museum.

Impressionen der Ausstellung


„Der Führer ist groß u. edel in seinen Bestrebungen und ein genialer Tatenmensch.“ (Nolde, 10.11.1933)

 

Nun legt es seine gesamten Ergebnisse im Katalog und Quellenband auf rund 600 Seiten vor. Zum Glück fasst die Ausstellung den komplexen Stoff knapper. Aus Originalzitaten, Hintergrundinfos und hochrangigen Nolde-Werken webt sie anschaulich und präzise ein dichtes Netz von Bezügen. Da wird man Noldes zauberhafte Farben künftig nicht mehr rückhaltlos so genießen können wie früher.

 

Am Eingang hocken zwei Sünder da wie auf einer Anklagebank und starren trotzig ins Leere. Es sind nicht Nolde und seine Frau Ada, sondern Adam und Eva als Großformat, 1921 in knalligen Farben gemalt. Dieser Auftakt stellt klar: Die Ausstellung hält über den Künstler und seine Gefährtin Gericht. Die Kuratoren legen die Fakten vor, urteilen muss jeder selbst. „Die Vertreibung aus dem Paradies“, so der Bildtitel, gilt auch für die Nolde-Fangemeinde.

 

„(…) weil ich als fast einzigster deutscher Künstler gegen die Überfremdung der deutschen Kunst gekämpft habe.“
(Nolde brieflich an Reichspropagandaminister Joseph Goebbels)

 

Schon früh stilisierte sich der 1867 als dänischer Staatsbürger geborene Bauernsohn zum verkannten Genie; er hieß eigentlich Hans Emil Hansen und kam aus dem Dorf Nolde. Sein Judenhass wurzelte in einer narzistischen Kränkung. 1910 eskalierte ein Streit mit dem Secessions-Präsidenten Max Liebermann derart, dass Nolde aus der Berliner Künstlervereinigung ausgeschlossen wurde.

 

Stein des Anstoßes war das Gemälde „Pfingsten“: Eine glutäugige Jüngerschaft schart sich um ihren Anführer. Auch in den Folgejahren lösten Noldes wüst und emotional gemalte Bibelszenen heftige Debatten aus. Die einen sahen darin den Durchbruch zu einer urgermanischen Kunst – andere ein Entgleisen in die Barbarei. Noldes Werk wurde zum Zankapfel im Streit um eine nationale Moderne, der nach 1933 eskalierte. 

 

„Erst mit Emil Nolde tritt deutsche Kunst ihr germanisch-nordisches Erbe an…“ (Aufsatz des Indologen Heinz Zimmer, 1927)

 

1937 hing Noldes „Gekreuzigter Christus“ mitsamt dem großen Bilderzyklus „Leben Christi“ in der Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“. Ein wandgroßes Dokumentarfoto versetzt einen mitten hinein in die sich davor drängenden Besuchermassen: Nolde als Opfer des Nationalsozialismus. Der überzeugte Regime-Anhänger reagierte empört und erwirkte die Rückgabe seiner Werke durch gute Beziehungen zu Propagandaminister Goebbels.

 

Zwar waren in deutschen Museen zuvor mehr als 1000 Werke von Nolde konfisziert worden, mehr als von jedem anderen „entarteten“ Künstler. Doch dazu zählten auch 400 Druckgrafiken, die das Museum Folkwang in Essen erst 1935 erworben hatte. Das zeugt von dem zähen Streit, welche Art von „deutscher Kunst“ sich im NS-Regime durchsetzen würde: konservative Feinpinselei wie vom Hitlerliebling Adolf Ziegler oder „bodenständiger“ Expressionismus à la Nolde. Ihn stellte der NS-Studentenbund Mitte 1933 als einen von 30 beispielhaften deutschen Künstlern aus. 

 

„Ist Nolde ein Bolschewist oder ein Maler? Thema für eine Doktorarbeit.“ (Notiz von Joseph Goebbels, 1933)

 

Vor golden leuchtendem Abendhimmel spielen zwei Pferde auf der Weide. Diese Leihgabe aus New York hing bis 1937 nebst anderen Nolde-Werken ganz offiziell in der Berliner Nationalgalerie, in der „Galerie der Lebenden“ im Kronprinzenpalais. Allerdings tauschte man 1933 das umstrittene Figurenbild „Heilige Familie“ gegen unverfängliche Stillleben und Landschaften aus.

 

Mit der Beschlagnahmungs-Aktion „Entartete Kunst“ verschwanden nicht nur die „Jungen Pferde“ aus der Öffentlichkeit. Privatsammler  hielten aber Nolde die Treue, seine Einnahmen stiegen. Zwischen 1937 und 1941 verdiente Nolde prächtig: 1940 mehr als 78.000 Reichsmark. Allerdings versuchten regimenahe Unterstützer Noldes vergeblich, den Führer und Reichskanzler persönlich für dessen Arbeiten einzunehmen.

 

„Nolde, das Schwein! … Was er malt, sind doch immer Misthaufen.“ (Adolf Hitler, 1933)

 

Nolde hoffte trotzdem unverzagt auf seine Rehabilitierung als wahrer deutscher Künstler. Klüglich verzichtete ab 1933 darauf, Bibelszenen darzustellen: „Er wollte keine Juden mehr malen“, so Kurator Fulda. Stattdessen wählte der Künstler Motive aus der nordischen Sagenwelt, die besser zur NS-Ideologie passten.

 

Eine ganze Abteilung ist diesen raunend märchenhaften Figurenszenen im dunkelsamtigen Kolorit gewidmet: mit langbärtigen Wikingerkriegern, zarten Prinzessinnen und Königen auf kleinen Aquarellen. Wie Nolde diese Wasserfarben-Blätter ins große Ölbildformat aufblies, führt ein „Leitz“-Projektionsapparat vor, den der Maler seit 1938 zu Hilfe nahm. Sein 1940 auf diese Weise entstandenes Gemälde „Brennende Burg“ gelangte in Heinrich Görings Landsitz bei Salzburg.

 

„Sehr stark war gestern die Führerrede.“
(Brief von Nolde an Ada, 10.11.1940)

 

In seiner privaten Bildergalerie, einem Raum seines Hauses in Seebüll, inszenierte Nolde sein  Schaffen regimekonform für ausgewählte Besucher. Das führt die Ausstellung in einer Rekonstruktion der Hängung 1941/42 vor Augen: kein einziges expressives Bibelmotiv, dafür jede Menge unverfängliche Landschaften und Blumenstillleben.

 

Ein Frühwerk von 1910 arbeitete Nolde 1940 zum Bauernbild im Sinne von „Blut und Boden“ um: „Kornmähen“ zeigt Schnitter im goldgelben Weizenfeld. Mit solchen Arbeiten hoffte Nolde bis zuletzt, bei der Reichskulturkammer die Aufhebung seines Berufsverbots zu erwirken: 1941 war er offiziell aus der Kammer ausgeschlossen worden.

 

„(…) gefangen, gefesselt, mit spitzen Schwertern gestochen, dies dem treuesten Deutschen…“ (Brief von Ada Nolde, 1941)

 

Dagegen aktivierte das Paar ihr Unterstützer-Netzwerk. Allerdings durfte Nolde fortan nur nicht mehr ausstellen, aber in seinem abgelegenen Domizil unbehelligt weitermalen. Und die berühmten „Ungemalten Bilder“? Von deren heimlicher Entstehung während der Jahre eines Malverbots erzählt der Schriftsteller Siegfried Lenz 1968 in seinem Bestseller-Roman „Deutschstunde“.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Emil Nolde - Retrospektive" samt NS-Verstrickung des Künstlers im Städel Museum, Frankfurt am Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "London 1938 - Mit Kandinsky, Liebermann und Nolde gegen Hitler" in der Liebermann-Villa Berlin mit Werken von Emil Nolde

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “1914 – Die Avantgarden im Kampf” mit Werken von Emil Nolde in der Bundeskunsthalle, Bonn

 

und hier eine Bericht zur Ausstellung "Blickwechsel: Pioniere der Moderne" mit Werken von Emil Nolde in der Neuen Pinakothek, München.

 

Alles Mythos: Die wunderschönen kleinen Aquarelle, die Nolde während der Kriegsjahre anfertigte, waren schlicht Vorarbeiten für große Ölgemälde; derlei schuf er auch vorher und später. Doch nach 1945 wurden die „Ungemalten Bilder“ zum zentralen Eckpfeiler seines Nachkriegsruhms.

 

„Hitler ist tod. Er war mein Feind. Sein kultureller Dilettantismus brachte meiner Kunst u. mir viel Leid.“ (Nolde, 6.5.1945)

 

Umstandslos wird dem Künstler 1948 im Zuge der Entnazifizierung ein „Entlastungszeugnis“ ausgestellt. Für seine Selbststilisierung als prominentes Opfer des NS-Regimes reichte das Berufsverbot von 1941 aus. Dieses Image beförderte Nolde, indem er seine autobiografischen Schriften frisierte und auf die neuen politischen Verhältnisse anpasste.

 

Die Nachkriegsgesellschaft liebte den verfemten Maler: 1957 richtete das Münchener Haus der Kunst Nolde eine große Retrospektive aus. Sechs Jahre später verkündete der renommierte Kunsthistoriker Werner Haftmann in einem Bildband über die Aquarelle der Kriegsjahre: „Nolde war keineswegs ein Antisemit“.

 

Mehr Kontext, bitte!

 

Die Legende vom verfolgten Genies hat nun ausgedient: Nolde müsse nicht länger vor Nolde geschützt werden, sagt Stiftungschef Christian Ring. Er will beides sichtbar machen, seine Biografie und sein Werk. Darauf werden die Museen, in denen seine Bilder meist Publikumslieblinge sind, durch Berücksichtigung des Kontextes reagieren müssen – in welcher Form auch immer.