„Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, hat der griechische Philosoph Heraklit schon vor rund 2500 Jahren bemerkt. Seine Einsicht gilt ebenso am anderen Ende der Welt, in Japan: Nach der Entmachtung des Kaiserhauses 1185 wurde das Inselreich fast 700 Jahre lang von einer Kriegerkaste beherrscht, die sich ab dem 9. Jahrhundert herausgebildet hatte. Der Shōgun an der Spitze stützte sich auf Daimyō; diese lokalen Fürsten befehligten zahlreiche Bushi, also Ritter oder Krieger – im Westen als Samurai bezeichnet.
Info
Samurai - Pracht des japanischen Rittertums
01.02.2019 - 30.06.2019
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstr.8, München
Katalog 35 €
Blütezeit trotz Bürgerkrieg
Zugleich erwarben die Samurai Kenntnisse in Poesie, Teezeremonie, Musik und Kunst. Unter dem Shōgunat emanzipierte sich Japan vom überragenden Einfluss Chinas und bildete eigene Formen und Stile heraus; für sie war die rituelle Praxis am Kaiserhof maßgeblich. Schon zur „Zeit der streitenden Reiche“ (1467-1568), als rund 200 unabhängige Daimyō einander bekämpften, blühte die japanische Kultur: Neue Anbaumethoden, steigende Nachfrage nach Waffentechnik und der Außenhandel mit China sorgten für allgemeinen Aufschwung trotz Bürgerkriegswirren.
Feature zur Ausstellung; © münchen.tv
Prestigeobjekte + teure Geschenke
Kurz darauf einten die Tokugawa-Shōgune das Inselreich und reformierten seine feudale Sozialordnung: Ab 1603 erlebte Japan zweieinhalb Jahrhunderte Frieden bei völliger Abschließung nach außen. Kriegslisten waren fortan überflüssig: Die Samurai wurden zu Verwaltern von Agrargütern umgeschult. Ihr rigider Ehrenkodex und ihre martialische Ästhetik bestanden aber weiter und fanden Ausdruck in der Herstellung aufwändiger Rüstungen – nun nicht mehr für das Schlachtfeld, sondern als Prestigeobjekte und teure Geschenke.
Welche Prachtstücke japanische Kunsthandwerker dabei schufen, lässt sich derzeit in der Münchener Kunsthalle bewundern. Gemeinhin sind Rüstkammern ja arg eintönige Ausstellungsorte, uniform im Wortsinne: mit schier endlosen Reihen schimmernder Wehr, Helmen, Rüstungen, Hieb- oder Stichwaffen aller Art und Batterien von Schießprügeln. Alles glänzt tödlich, alles sieht ähnlich aus; nur Waffennarren und Spezialisten bemerken Unterschiede. Doch diese Schau ist völlig anders.
Panzer + Helmen aus Lamellen
Die Rüstungen hochgestellter Fürsten und Offiziere in Japan waren äußerst verschieden gestaltet. Sie sollten Rang und Individualität ihres Trägers zum Ausdruck bringen – und lassen sich daher am ehesten mit den fantasievollen Paradeuniformen gekrönter Häupter in Europa vergleichen. Zwar basierten japanische Rüstungen auf einer überschaubaren Zahl von Grundelementen, doch die verwendeten Materialien und die Ausführung variierten enorm.
Brustpanzer bestanden anfangs nicht wie bei europäischen Ritterrüstungen aus einem Blechstück. Stattdessen wurden dafür Platten zusammengebunden, die wiederum aus vielen einzelnen Lamellen bestanden – ebenso wie Helme, für die man solche Lamellen vernietete. Das änderte sich 1543, als erstmals Feuerwaffen in Japan eingeführt wurden, vermutlich durch ein portugiesisches Schiff: Fortan waren Brustpanzer größer und massiver, um Musketenkugeln zu widerstehen.
Inspiration für „Star Wars“-Kostüme
Das wirkte sich auch auf die Helme aus, denn Schwaden von Pulverdampf vernebelten die Schlachtfelder. Um gut sichtbar zu bleiben, ließen die Heerführer immer größere und kostspieligere Helme anfertigen; mit weit ausladendem Nackenschutz, Wappen-Figuren über dem Visier und teilweise monströsen Aufsätzen in grellen Farben. Wer wissen will, woher Kostümdesigner von „Star Wars“ und ähnlichen Weltraum-Epen ihre Inspiration bezogen haben – hier wird er fündig.
Insbesondere in der friedlichen Edo-Zeit ab 1603, als solche Luxus-Helme nur noch dem Renommier-Bedürfnis dienten, wurden immer fantastischere Exemplare entworfen: etwa mit Wild- oder Büffel-Hörnern, Insekten- oder Dämonen-Darstellungen als Helmzier. Beliebt waren auch Anleihen bei fremdländischen Helmformen; damit demonstrierte ihre Träger, dass sie trotz Japans Abschottung Zugang zu begehrten Import-Gütern hatten.
Beschränkung aufs Wesentliche
Manche dieser Objekte sehen wie surreale Skulpturen aus. Ihr praktischer Nutzen war nachrangig; vergleichbar heutigen SUV-Panzern, die scheinbar urwald- und wüstentauglich wären – doch ihre stolzen Besitzer bringen damit nur Kinder zur Schule. Hauptsache, das aufgedunsene Gefährt beeindruckt alle Nachbarn.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Goldene Impressionen: Japanische Malerei 1400 - 1900" im Museum für Ostasiatische Kunst, Köln
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Hokusai-Retrospektive" - exzellente Werkschau des japanischen Künstlergenies im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Zartrosa und Lichtblau - Japanische Fotografie der Meiji-Zeit (1868-1912)" im Museum für Fotografie, Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Monet, Gauguin, van Gogh ... Inspiration Japan" - hervorragender Überblick über Japonismus im 19. Jahrhundert im Museum Folkwang, Essen.
Ruinöse Renommiersucht
Nur an manchen Stellen wünscht man sich, die Kuratoren würden auf kleinteilige Erläuterung von Rüstungs-Details verzichten und stattdessen ausführlicher den historischen und kulturgeschichtlichen Hintergrund erläutern. Etwa das System rotierender Wohnorte: Die Daimyō mussten abwechselnd ein Jahr auf ihren Landgütern und ein Jahr am Hof des Shōgun in der Hauptstadt Edo wohnen. Das sollte ihnen verunmöglichen, zu rebellieren; eine ähnliche Präsenzpflicht für Adlige gab es auch im französischen Absolutismus unter Ludwig XIV.
Zudem reisten die Daimyō alljährlich in aufwändigen Prozessionen nach Edo und zurück; das erschöpfte sie finanziell. Gerade ihre Renommiersucht, die in den hier vorgeführten Prunkuniformen Ausdruck fand, beförderte ihren sozialen Abstieg; während der so genannten Meiji-Restauration ab 1868 wurden die Samurai endgültig entmachtet. Ob ein solches Schicksal dereinst auch Käufer rollender Blechmonster für 100.000 Euro ereilen wird?