Erik Schmitt

Cleo

Cleo (Marleen Lohse) an der Eastside Gallery. © Detailfilm, Johannes Louis. Fotoquelle: Weltkino Filmverleih GmbH
(Kinostart: 25.7.) "Die fabelhafte Welt der Amélie" in Berlin: Regisseur Erik Schmitt schickt seine Heldin auf Schatzsuche. Sein urbanes Märchen zieht alle Register dessen, was Kino kann – für eine Hommage an den Zauber der Stadt und die Fantasie auf der Leinwand.

Berlin, mon amour: In seinem ersten Spielfilm erzählt Erik Schmitt ein urbanes Märchen – darin fängt er mit großer Leichtigkeit die oft beschworene Magie dieser Stadt ein, die sonst nur selten plausibel wird. Die Geschichte ist einfach, doch drumherum brennt der Film ein Feuerwerk an originellen Einfällen mit skurrilen Gestalten ab, wie sie in dieser Dichte sonst kaum auf die Leinwand kommen.

 

Info

 

Cleo

 

Regie: Erik Schmitt,

101 Min., Deutschland 2019;

mit: Marleen Lohse, Jeremy Mockridge, Max Mauff

 

Website zum Film

 

Als Reiseleiterin auf diesem Trip dient ihm dabei die Muse seiner Kurzfilme, Marleen Lohse. Sie spielt Cleo: eine junge Frau, deren Schicksal von großem Unglück bedroht zu sein scheint. Bei ihrer Geburt ist die Mutter gestorben; dafür sieht Cleo nun Dinge, die kein anderer sieht. So kann sie etwa Albert Einstein und Max Planck beim Gespräch auf einer Parkbank zuhören; dabei reden sie von einer Uhr, mit der sich die Raumzeit krümmen und damit die Zeit zurückdrehen lassen soll.

 

Suche nach Sass-Schatz von 1929

 

Diese Uhr soll Teil des sagenumwobenen Schatzes sein, den die Einbrecher-Gebrüder Sass 1929 erbeuteten; seit ihrem Tod 1940 ist er verschwunden. Nun wünscht sich die kleine Cleo sehnlich, diesen Schatz zu finden. Auf der Suche danach kommt allerdings ihr Vater um, als sie beim gemeinsamen Graben auf eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg stoßen. Mit zehn Jahren findet Cleos zuvor behütete Kindheit ihr Ende in einem Waisenhaus.

Offizieller Filmtrailer


 

Im Korsett strenger Regeln

 

Sie gibt sich die Schuld am Tod ihrer Eltern. Dadurch traumatisiert, richtet Cleo ihr Leben in einem Korsett strenger Regeln ein und versagt sich Gefühle, Fantasie und jede Wahrnehmung von Magie, die sich ihr fast pausenlos aufdrängt. Erst als sie dem Abenteurer Paul (Jeremy Mockridge) begegnet, ändert sich ihre Lage; langsam und zunächst gegen ihren Willen.

 

Auch Paul sucht nach dem Schatz der Sass-Brüder; allerdings mit viel banalerer Motivation. Doch hat er Verbindungen und die nötige Energie, die ihn zum idealen Partner für das große Abenteuer machen, auf das sich Cleo allmählich einlässt. Kaum haben beide mehr oder weniger widerwillig – und selbstverständlich klaren Spielregeln unterworfen – zusammengefunden, tauchen auch schon höchst gefährliche Gegenspieler auf.

 

Sich durch den Teufelsberg graben

 

Gemeinsam mit dem schrägen Gaunerpärchen Zille (Max Mauff) und Günni (Heiko Pinkowski)  tauchen die Protagonisten tief in den Berliner Untergrund und seine Mythen ein: Sie graben sich auf ihrer Suche unter dem Teufelsberg – einem Trümmerberg am Stadtrand, auf dem die Ruinen einer von den US-Alliierten errichteten Abhörstation stehen –  durch die Ablagerungen der Stadtgeschichte. Am vorläufigen Ende ihrer Reise erreicht Cleo den Beginn der Zeit und muss sich entscheiden, was sie wirklich will.

 

Dieser Plot ist mehr oder weniger vorhersehbar; die Erzählung läuft auf die letztlich einfache Aufforderung hinaus, sich dem Leben zu stellen, wie es ist. Und dennoch: Der Film verliert keinen Moment an Charme und Drive. Das liegt vor allem an der überbordenden Fülle von Einfällen, die die Handlung umspielen, kommentieren und einbetten.

 

Muse der Heldendichtung

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Kim hat einen Penis" - beschwingte Transgender-Sittenkomödie von Philipp Eichholtz

 

und hier einen Beitrag über den Film "Arthur & Claire" - skurrile Selbstmord-Dramödie mit Rainer Bock von Miguel Alexandre

 

und hier einen Bericht über den Film "Der Schaum der Tage" - verspielte Verfilmung des surrealen Romans von Boris Vian durch Michel Gondry mit Romain Duris + Audrey Tautou

 

Von Stop-Motion- und Legetrick-Passagen, in denen die Stadt buchstäblich zerschnitten und wieder neu zusammengesetzt wird, über digitale Effekte, die verschiedene Zeitebenen zugleich visualisieren und vermischen, bis zu gezeichneten Karten und grafischen Elementen nutzt Erik Schmitt mit großer Liebe zum Detail alle möglichen und unmöglichen Techniken. Dabei baut er Reminiszenzen an zahlreiche Genres ein.

 

Ein Glücksfall ist auch die Besetzung der Hauptrolle mit Marleen Lohse. In der griechischen Mythologie ist Cleo oder Clio die Muse der Heldendichtung und Geschichtsschreibung. Also stellt der Film ihr einen Historiker zur Seite, der immer mal wieder auftaucht und das Geschehen kommentiert oder auch selbst darin involviert wird. Das erinnert an Humor und Erzählweise von Monty-Python-Sketchen und -Filmen.

 

Unpeinliche Berlin-Huldigung

 

All das wird nicht zur angestrengten Leistungsshow filmischen Kunsthandwerks; stattdessen kitzelt der Film überraschende Assoziationen und Kurzschlüsse hervor, die entstehen lassen, was deutschem Kino allzu oft fehlt: Poesie auf der Höhe technischer Möglichkeiten.

 

Damit gelingt Erik Schmitt ein Familienfilm, der gleichzeitig zweierlei bietet: eine unpeinliche Huldigung an den Zauber von Berlin wie eine tiefe Verbeugung vor dem, was Kino alles kann. Quasi als deutsche Antwort auf den französischen Kassenschlager „Die fabelhafte Welt der Amélie“ von 2001.