Der Gedanke liegt so nahe, dass man sich fragt, warum niemand früher darauf gekommen ist. Mit Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung beschäftigen sich Künstler seit Jahrzehnten. Entsprechende Arbeiten waren auf vielen großen Ausstellungen zu sehen. Doch noch nie war eine allein diesem Thema gewidmet. «Zur Nachahmung empfohlen!» schließt diese Lücke.
Info
Zur Nachahmung empfohlen! Expeditionen in Ästhetik & Nachhaltigkeit
03.09.2010 - 10.10.2010
in den Uferhallen, Uferstraße 8 - 11, Berlin-Wedding
anschließend im Wendland, Dessau, Ingolstadt, Neuburg und im Neuen Kunstverein Pfaffenhofen
Bunt schillernde tour d´horizon
Nach drei Jahren Vorlaufzeit ist Goehler die Finanzierung der Schau mit Geldern von Umweltbundesamt und Bundeskulturstiftung gelungen. Und das Ergebnis hat die Mühe gelohnt: Entstanden ist keine dröge Gutmenschen-Veranstaltung, sondern eine bunt schillernde tour d´horizon voller aufregender «Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit», wie der Untertitel verspricht.
Impressionen der Ausstellung
Wobei deren Reiz darin besteht, nicht eindeutig einer der beiden Begriffe zuordenbar zu sein. Genauer: Goehler zeigt auch originelle Ansätze seriöser Fachwissenschaftler, um Umweltprobleme praktisch in den Griff zu bekommen. Daneben stehen Kunstwerke, die bestehende Missstände aufgreifen, satirisch kommentieren oder sarkastisch ins Absurde treiben.
So entsteht ein Kontinuum der Kreativität, das den Betrachter im besten Sinne aufstört: Er muss sich aufmerksam in die Arbeiten vertiefen, um zu verstehen, was noch realisierbarer Verbesserungsvorschlag und was schon – negative oder positive – Utopie mit Memento-Funktion ist.
Bastel-Mentalität der frühen Öko-Bewegung
Eindeutig zum Machbaren zählt Christoph Kellers Anregung, dunkle Parterre-Wohnungen in Großstädten mit Sonnenspiegeln zu beleuchten: Sie wären weder größer noch teurer als Satelliten-Schüsseln auf dem Dach. Diverse Recycling-Ideen gehören ebenso dazu: Gerd Niemöllers Baustoff aus Papier in Wabenform; die Fahrräder, die Köbberling & Kaltwasser aus Altauto-Teilen zusammenbauen, oder Christian Kuhtz´ Windrad auf der Basis eines ausgedienten Waschmaschinen-Motors. Auch wenn das an die Bastel-Mentalität der frühen Öko-Bewegung erinnert.
Andere Beiträge dokumentieren das Bestehende in einer Perspektive, die seine Monströsität vor Augen führt: Die großformatigen Aquarelle von Cornelia Hesse-Honegger, die Mutationen bei Insekten in radioaktiv belasteten Gebieten festhalten. Die freskenartigen Fotos, die Till Leeser von Müllkippen anfertigt. Oder, gefälliger, die Panorama-Aufnahmen von Dionisio Gonzalez: Er lichtet Slums von Brasilien bis Vietnam ab und betont mit kleinen Eingriffen die ästhetischen Qualitäten ihrer provisorischen Behausungen.
Kühne Initativen
Drittens gibt es kühne Initativen, deren Erfinder epochale Probleme handstreichartig lösen wollen. Ikka Halso konstruiert monumentale Schutzdächer, um ganze Landschaften zu retten. Nana Petzet richtet ihre Wohnung komplett mit Altverpackungen ein – das erspart deren Wiederverwertung. Die Gruppe «Superflex» flutet eine McDonalds-Filiale: So entsteht nebenbei ein spannender Katastrophen-Film. Und Antal Lakner empfiehlt die Züchtung von «Dermoherba», einer Pflanze, die auf menschlicher Haut wächst: In dieser Symbiose hätten beide bessere Überlebenschancen, versichert der Künstler.
Was heute noch wie groteske Science-Fiction wirkt, könnte morgen schon Wirklichkeit werden. Etwa das Adoptions-Projekt von Gudrun F. Widlok, die vereinsamte weiße Singles an afrikanische Großfamilien vermitteln will, damit die sich um sie kümmern. Oder das expressionistische Häuschen des vergessenen Architekten Hermann Finsterlin, das Miguel Rothschild aus leeren PET-Flaschen gebaut hat: Es ist so leicht wie formschön. Oder der Schwimmring, den Susanne Lorenz für schmutzige Gewässer gestaltet: Pflanzen-Filter verwandeln es in sauberes Badewasser.
Öko-Kunst-Ahnherr Joseph Beuys
Wo hört die Realität auf, wo fängt die Spekulation an? Diese Grenze wird beim Rundgang unkenntlich; genau das will die Ausstellung erreichen. Dafür verzichtet sie wohltuend auf große Namen – bis auf eine Verbeugung vor Öko-Kunst-Ahnherr Joseph Beuys – und setzt stattdessen auf anspruchsvolle Formen und Inhalte. Hier soll nicht der Kulturbetriebs-Zirkus bedient, sondern das Publikum nachhaltig angeregt werden.
Deshalb tourt sie nach dem Auftakt in den Berliner Uferhallen, einem wieder verwendeten ehemaligen Ausbesserungs-Werk, durch die Provinz: Städte wie Ingolstadt, Neuburg und Pfaffenhofen sind keine Kunstmetropolen, aber geeignete Relais-Stationen für ihre Botschaft. Dass die Schau dabei mit gutem Beispiel – Recycling-Papier für den Katalog, CO²-Ausgleich, umweltschonender Transport der Exponate – vorangeht, versteht sich von selbst.
Bemerkenswert ist aber, dass sie auf Video-Kunst weitgehend verzichtet – wegen des hohen Stromverbrauchs. Wie sehr sein Anteil an der Umweltzerstörung unterschätzt wird, macht Michael Saup deutlich. Er hat einen Braunkohle-Würfel von drei Metern Kantenlänge in die Halle gewuchtet. Diese Menge an Energie wurde verbraucht, als der Video-Trailer des «Avatar»-Films eine Million Mal abgerufen wurde. Und eine Anfrage bei Google frisst so viel Strom wie eine Glühbirne in einer Stunde: Denken Sie beim nächsten Mausklick daran!