Beim Falten kommen die Meisten über Papierflieger, -schiffe und «Himmel und Hölle» nicht hinaus. Oder sie legen Servietten auf dem Tisch zusammen und beschweren sie mit Besteck. Die Faltkunst ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Doch vor nicht allzu langer Zeit wurde noch unfassbar viel Zeit und Sorgfalt darauf verwendet.
Info
Gefaltete Schönheit - Meisterwerke der Serviettenfaltkunst
08.09.2010 - 06.02.2011
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
im Hofmobiliendepot - Möbel Museum, Andreasgasse 7, Wien
Uralte Ursprünge
Dabei sind die Ursprünge dieser Kunst uralt: Schon die antiken Ägypter falteten ihre Papyri. In Spätmittelalter und Frührenaissance betonten aufwändig gefaltete Kopftücher und Brustkragen aus Leinen den sozialen Rang ihrer Trägerin. Der berühmteste Beleg ist Leonardos «Mona Lisa»: Ihre Puffärmel bieten maximale Bewegungsfreiheit.
Impressionen der Ausstellung
Rasanter Aufschwung
Um 1500 nahm die Faltkunst einen rasanten Aufschwung – vermutlich, weil Servietten nicht mehr von einem Diener gereicht, sondern vorab auf dem Tisch platziert wurden. Die vier grundlegenden Falttechniken wurden systematisiert: lange Falten; runde Falten, die sich beim Rollen langer Falten ergeben, Schuppenfalten oder «Spinapesce» («Fischgräten»), die schräge Muster erzeugen, und Schluss-Falten für andere Muster. Aus diesen vier Verfahren entstehen alle Falt-Objekte.
Ihre Vielfalt breitet die Schau verschwenderisch aus. In der Hochrenaissance kamen so genannte «Schaugerichte» in Mode: Zum Anlass des Mahls passende Tischaufsätze, die Gäste zu Gesprächen und ihren Appetit anregen sollten. Sie konnten aus Servietten gestaltet sein. Erlaubt war, was gefiel und sich falten ließ: Fische, Vögel, Muscheln, Blumen, Schiffe, Figuren oder Architektur-Elemente.
Mannshohe Triumphbögen
Im Barock nahmen die Schaugerichte auf Fürsten-Tafeln enorme Ausmaße an. Gebirge mit bis zu zwölf Gipfeln symbolisierten das Land des Herrschers; zu Beginn des Mahls wurden sie einfach auseinander gezogen und dienten als Tischtuch. Mannshohe Triumphbögen zierten die Tafel; sie waren mit Fahnen, Wappen und Losungen in Goldbuchstaben geschmückt.
Ganze Schlösser wurden auf die Tafel gestellt und mit lebenden Vögeln oder Hasen bestückt: Betraten die Gäste den Saal, flog oder lief das Getier davon, und das Mahl konnte beginnen. Das aufwändigste Exponat der Schau ist ein meterlanger Tischbrunnen nach einem Entwurf von 1677: Löwe und Greif beschützen die Fontäne in der Mitte, an der man sich reinigen durfte. An solchen Ungetümen wurde oft wochenlang gearbeitet.
Tranchier- und Servietten-Faltkunst
Derartige Konstruktionen gehen meist auf Mattia Gieghers «Trattato delle piegature» von 1629 zurück. Der Autor hieß eigentlich Matthias Jäger und stammte aus Mosburg in Bayern. Er hatte seinen Namen italianisiert und unterrichtete an der Universität Padua die Tranchier- und die Servietten-Faltkunst – zwei Fertigkeiten, die Diener in den Haushalten der Reichen und Mächtigen beherrschen mussten.
Das 18. Jahrhundert erlebte den Niedergang der Faltkunst. Das aufkommende Porzellan schmückte die Tafel ebenfalls, und die Aufklärung hatte keinen Sinn für exzessive Dekoration. Doch die Tradition, eine Serviette am Platz zu falten, überlebte. Sie war zweckvoll; ihre Taschen hielten Brotstücke sauber und Eier warm.
Acht «Faltfamilien»
Noch im 19. Jahrhundert wurden viele Varianten erfunden, um Servietten hübsch zusammenzulegen. Gruppiert in acht «Faltfamilien», stellt die Schau Dutzende davon vor. Manche sind dem Besucher vertraut, etwa die Familie «Blintz». Das jiddische Wort bezeichnet einen Pfannkuchen, dessen Ecken zur Mitte umgebogen werden. Diese Grundform entwickelte der Pädagoge Friedrich Fröbel zum «Himmel und Hölle»-Spiel für Kinder weiter.
Aus der Mode gekommen ist dagegen der Brauch, Briefe vielfach zu falten und zu beschneiden, damit sich für den Adressaten ein Muster ergibt – Emails erlauben solche Fingerübungen nicht. Kunstvoll gefalteten Servietten begegnen allenfalls noch die Gäste von Luxusrestaurants und Staatsbanketten.
Wer einer Einladung von Österreichs Präsidenten folgt, wird auf seinem Teller die «Kaiserfaltung» finden. Deren exakte Faltgang kennen nur drei Mitarbeiterinnen der Silberkammer in der Hofburg. Wer ihnen das Staatsgeheimnis entlocken will, sollte sich des Fachjargons bedienen: Servietten werden «gebrochen», nicht gefaltet.