Lambert Wilson

Mönche sind Fixsterne der Welt

Lambert Wilson; Foto: Wikipedia
«Von Menschen und Göttern» zeigt die letzten Monate von acht französischen Mönchen, die im algerischen Bürgerkrieg sterben: 1996 wurden die Trappisten-Mönche von Tibhirine brutal ermordet. Lambert Wilson spielt die Rolle des Abtes Christian.

Ihre sieben Kollegen spielen Mönche, Sie spielen den Abt Christian. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?

 

Die meisten Schauspieler haben die Angehörigen der Mönche besucht. Ich habe das nicht getan. Ich glaube, ich hatte Angst davor. In gewisser Weise wollte ich mir die reale Person vom Leibe halten.

 

Natürlich habe ich einige Charakterzüge von Christian angenommen – seine Strenge, seine Glaubensstärke, seine Intelligenz, seine Leidenschaft für Algerien, seine Religion und Sprache. Diese Züge zeichnen nur ihn aus, sonst niemanden. Aber ich wollte frei agieren können und nicht das Gefühl haben, einen Dokumentarfilm über real existierende Personen zu machen. Der Film basiert auf den realen Ereignissen, aber er dokumentiert sie nicht.

 

 Audio-Mitschnitt des Interviews

 In eine andere Zeit eintreten

 

Eine Klostergemeinschaft ist eine ganz besondere Gruppe. Wie haben Sie und ihre Kollegen erreicht, eine Gemeinschaft zu bilden?

 

Der gemeinsame Gesang war für uns alle sehr wichtig. Erst durch den Gesang wurden wir zu einer Gemeinschaft. Regisseur Xavier Beauvois hat uns vor den Dreharbeiten in das Kloster Tamié in den Alpen geschickt. Aus Tamié kamen vier der enthaupteten Mönche.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier die kultiversum-Rezension des Films "Von Menschen und Göttern".

Wir waren dort ein paar Tage, beobachteten, sprachen mit den Mönchen und hörten ihnen zu. Die Zeit der Mönche hat einen anderen Rhythmus. Deswegen wurde der Film in Frankreich auch so positiv aufgenommen, weil er dem Publikum erlaubt, in eine andere Zeit einzutreten. Diese Zeit ist viel langsamer und fühlt sich gut an. In ihr sind Menschen mehr zentriert.

 

Dann sangen wir mit unserem Chorleiter Francois Poulgar, und so fanden wir zu einer Gemeinschaft. Gesang ist eine organische Erfahrung, die Wesen miteinander verbindet. Außerdem haben die Schauspieler Biographien der Mönche gelesen – ihr Leben ist sehr gut dokumentiert, es gibt über fast jeden von ihnen ein Buch. Doch für mich kam alles zusammen, wenn wir sangen – dann hatte ich das Gefühl, dass wir eine Bruderschaft sind.

 

Unterscheidet sich das Dasein eines Mönchs nicht völlig von dem eines Schauspielers, der auf das Publikum zugehen muss?

 

Durchaus, aber Schauspieler sollen dauernd Dinge tun, die nichts mit ihrem Leben zu tun haben – das gehört zu ihrem Beruf. Nichtsdestoweniger mochten wir es sehr, diese Mönche darzustellen. Ich habe mich gefragt, warum. Es erinnerte mich an etwas, was mit antikem Theater zu tun hat.

 

Ein einziger Körper mit acht Köpfen

 

In der griechischen Tragödie gibt es den Chor, der aus mehreren Personen besteht, die zu einer Gruppe vereint sind und doch Individuen bleiben. Genauso waren wir zeitweise ein einziger Körper in Theater-Kleidung mit acht Köpfen. Es hat etwas damit zu tun: Warum fühlt man sich gut, wenn man diese Kleidung trägt – fast identisch aussieht, aber dennoch einzigartig bleibt?

 

Andererseits unterscheide ich mich gar nicht so sehr von einem Mönch. Deshalb wurde ich auch gefragt, ob ich diese Rolle übernehmen möchte. Ich mag Isolation, Gebete, Musik, Gesang, Gärtnern und Stille. Der einzige Grund, warum ich kein Mönch werde, ist, dass ich gerne die Welt entdecke.

 

Nur Emails, kein Web-Surfen

 

Und das Leben im Kloster ist ein totaler Rückzug von der Welt. Liegt in dieser Weltferne nicht auch eine gewisse Weltfremdheit?

 

Unsere Vorstellung von Mönchen ist veraltet. Das Kloster in den Alpen, das wir besuchten, hat eine Internet-Website. Es ist bestens mit der Welt verbunden. Tamié ist ein populärer katholischer Wallfahrtsort, so dass die Mönche eine Menge Pilger kennen lernen, die mit ihnen sprechen wollen. Was diese Mönche von den Laien unterscheidet, ist ihre Keuschheit und ihre Immobilität.

 

Ich persönlich korrespondiere regelmäßig mit einem Mönch und nenne ihn meinen Polarstern – der Stern, der sich nicht bewegt. Die Welt kreist um ihn, und er ist der Fixpunkt. Er muss die Welt nicht entdecken; er kümmert sich um seinen Garten, und die Welt kommt zu ihm. Und er kommuniziert übers Internet; das hat mich erstaunt, fast schockiert. Aber er schreibt nur Emails – ich glaube nicht, dass er Websites absurft.