Köln + Bayreuth

Afropolis

Uche Okpa-Iroha: “Under the Bridge”, Fotografie, 2009. Der Raum unter den Brücken der innerstädtischen Schnellstraßen wird vielfältig genutzt. Foto: © Uche Okpa-Iroha
Von Kairo bis Johannesburg: Die erste Ausstellung im Neubau des Rautenstrauch-Joest-Museums in Köln will fünf Großstädte in Afrika beleuchten. Doch «Afropolis» ist heillos überfrachtet und neokolonialistisch.

«Über Lagos nachdenken bedeutet, über einen möglichen Endzustand von Chicago, London oder Los Angeles nachzudenken», schrieb der niederländische Star-Architekt Rem Kohlhaas im Jahr 2000. Das las in den genannten Städten niemand gern: Die Chicagoer, Londoner und Angelenos nicht, weil sie nicht im Ruin enden wollten. Und die Einwohner von Lagos nicht, da sie ihren Wohnort keineswegs als Negativ-Utopie sahen.

 

Info

Afropolis

 

05.11.2010 - 13.03.2011
täglich außer montags 10 - 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr im Rautenstrauch-Joest-Museum, Cäcilienstraße 29-33, Köln

 

28.04.2011 - 04.09.2011
täglich außer montags 14 - 18 Uhr im IWALEWA-Haus, Münzgasse 9, Bayreuth

 

Katalog 35 €

 

Website zur Ausstellung

Doch im Rest der Welt gilt Lagos als wuchernde Monster-Metropole. Allerdings nicht nur sie: Einige der größten Mega-Cities der Welt liegen in Afrika. Nirgends schreitet die Urbanisierung schneller voran: Auch auf diesem Kontinent lebt mittlerweile mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Städten. Und nirgends verläuft dieser Prozess ungeplanter, chaotischer und belastender für Menschen und Umwelt ab.

 

Eher Urbanistik als Natur + Kultur

 

Insofern lohnt die Idee, afrikanische Großstädte miteinander zu vergleichen. Das verspricht mehr Aufschluss über das zeitgenössische Leben in Afrika als romantische Rückblicke auf Naturschönheiten und traditionelle Kulturen – beide verschwinden rasch. Zum Rautenstrauch-Joest-Museum, das im Oktober 2010 einen Neubau bezog und dort die herkömmliche Einteilung in Kulturkreise überwinden will, passt dieser Anspruch an Aktualität.

Impressionen der Ausstellung


 

Ausstellung scheitert an eigenem Größenwahn

 

Aber «Afropolis» löst ihn nicht ein. Die Kuratoren lassen sich zu sehr vom flirrenden Charakter ihres Gegenstandes anstecken – dem Durcheinander und Improvisieren in afrikanischen Städten. Sowie ihrem latenten Hang zum Größenwahn: Angestrebt wird, Stadtgeschichte und –kultur in Kairo, Lagos, Nairobi, Kinshasa und Johannesburg umfassend zu beschreiben.

 

Außer ihrer Lage in Afrika haben diese Städte wenig miteinander gemein. Kairo ist 2000 Jahre alt und das Zentrum der islamisch-arabischen Welt. Lagos war eine Yoruba-Residenz im Niger-Delta, bis sie die Engländer zum Waren-Umschlagplatz umfunktionierten. Nairobi wurde als Kolonial-Posten vor kaum 100 Jahren gegründet; ähnlich Kinshasa. Und Johannesburg wuchs mit der Bergbau-Industrie.

 

Nur wenige Quadratmeter für fünf Mega-Cities

 

Allein eine dieser Städte anschaulich darzustellen, hätte den Ausstellungs-Saal gefüllt. Das Vorhaben, fünf europäische Metropolen wie London, Paris, Berlin, Istanbul und Moskau in nur einem Raum zu beschreiben, würde aberwitzig wirken. Doch «Afropolis» pfercht die fünf Mega-Cities Afrikas zusammen: Da bleibt für jede nur wenige Quadratmeter übrig.

 

Zumal die Macher sich kaum um klassische Stadtplanung und –entwicklung kümmern – ob und wie Infrastruktur, Versorgung und Verkehrswege entstanden sind und aufrechterhalten werden, ist ihnen offenbar egal. Ein paar Daten und Fakten zum Thema schütten sie einfach auf «dokumentarische Module» genannte Tische. Möge der Besucher beim Blättern und Entziffern der Bleiwüsten aus ihnen schlau werden.

 

Überfrachteter «Diskurs über postkoloniale Städte»

 

Viel mehr interessieren sich die Kuratoren «für eine Neukonstitution des Diskurses über postkoloniale Städte». Praktisch bedeutet das: Der Saal ist voll gepfropft mit Stellwänden, Installationen und Environments aller Art. Damit tun ausgewählte Fotografen und Künstler ihre Sicht der Dinge kund: Ob sie informativ und repräsentativ ist, scheint nebensächlich.

 

So steht das riesige Architektur-Modell eines Palastes in Kairo neben der Installation «Casualties», die der Nigerianer Kainebi Osahenye aus Tausenden leerer Getränkedosen zusammengefügt hat. Grell bemalte Teile von aufgemotzten Kleinbussen lehnen an Leinwänden, auf den «Slum TV» aus Nairobi läuft und Modernisierungs-Pleiten kritisiert.

 

Alles so schön bunt und laut hier

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung "Afrika mit eigenen Augen" über das " Erforschen und Erträumen eines Kontinents" im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung “Afrikanische Stelen im Kontext zeitgenössischer Kunst” in der Galerie Hirschmann, Berlin

 

und hier eine Rezension des Buchs "Neues afrikanisches Kino" von Manthia Diawara

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Momente des Selbst: Porträt-Fotografie und soziale Identität” mit afrikanischer Fotografie in The Walther Collection, Neu-Ulm.

Der Kenianer Sam Hopkins lädt zum Kinobesuch in seiner «Roomah»- Blechbüchse, daneben plärrt Lingala-Pop aus Kinshasa. Alles so schön bunt und laut hier: Das Erscheinungsbild eines afrikanischen Basars mit seinem überbordenden Angebot an Krimskrams und Trommelfeuer an Reizen imitiert die Schau jedenfalls perfekt.

 

Ärgerlich wird dieses Kuddelmuddel aus marktschreierischen Parolen und allenfalls angetippten Konzepten jedoch, sobald westliche Teilnehmer sich anmaßen, das Lebensgefühl in afrikanischen Städten zu durchblicken. Wenn die Fotografin Karola Schlegelmilch ihre Schnappschüsse als kompetente Übersicht über informelle Gegenwarts-Architektur in Afrika ausgibt.

 

Drag-Queen mit Kronleuchter im Slum

 

Oder der Performance-Künstler Steven Cohen sich filmen lässt, wie er als Drag-Queen nur mit einem Kronleuchter bekleidet durch einen Slum von Johannesburg stöckelt, der gerade zerstört wurde. Um die Bewohner «zu heilen», sagt seine südafrikanische Kollegin Leora Farber. Seltsam, dass die aufgebrachten Schwarzen sich vor dem Schutt ihrer Hütten nicht von der Tunte trösten lassen.

 

Ein sehr aussagekräftiger Auftritt: Er offenbart, wie gering globale Player im postmodernen Kulturbetrieb ihre Mitmenschen schätzen. Selbst deren manifestes Elend dient ihnen nur als Kulisse für pseudo-provokative Aktionen, um an Stipendien und Einladungen zu Ausstellungen kommen. Diese immaterielle Ausbeutung ist nicht nur moralisch widerwärtig, sondern auch eindeutig neokolonialistisch.