Berlin

Ingmar Bergman – Von Lüge und Wahrheit

Harriet Andersson (Monika) in "Die Zeit mit Monika". Foto: Louis Huch, © 1953 AB Svensk Filmindustri
In Cannes wurde er 1997 zum «Besten Regisseur aller Zeiten» gekürt: Er hat den Autorenfilm geprägt wie kein anderer. Doch sein Werk gerät in der Internet-Ära außer Sicht. Dagegen setzt die Deutsche Kinemathek eine Ausstellung samt Berlinale-Retrospektive.

Nachlass als Welt-Dokumentenerbe

 

Deshalb waren seine skandinavischen Sujets universell – alle Welt erkannte sich darin wieder. Und sparte nicht mit Lob: Bergman erhielt drei Oscars und gewann drei Mal in Cannes. Dort wurde er 1997 sogar als «Bester Regisseur aller Zeiten» ausgezeichnet. So unterschiedliche Kollegen wie Stanley Kubrick, Woody Allen und Michael Haneke verehren ihn als Vorbild. Sein Nachlass zählt zum Welt-Dokumentenerbe und wird in Berlin erstmals öffentlich präsentiert.

 

Dennoch gerät Bergmans Werk allmählich außer Sicht. Das dürfte am heiligen Ernst liegen, mit dem er seine Spielfilme drehte; ihre Aufführung im Kino glich einer säkularen Messe. Seither hat die schiere Fülle Filme stark entwertet. Als content für zahllose Spartenkanäle und Nischenprogramme bieten sie alles, bloß eines nicht: den Anspruch, letzte Fragen zu klären. Vom Film erwartet niemand mehr, dass er das eigene Leben ändert.

 

Privat-Fotos wie Szenenbilder

 

Vielleicht sollte man das. Die Schau im Museum für Film und Fernsehen zeigt, wie das möglich ist – am Regisseur selbst. Schon am Eingang verwischt eine Collage die Grenzen zwischen Kino und Wirklichkeit: Fotos aus seinem Privat-Album gleichen bis ins Detail Szenenbildern aus seinen Filmen. Wenn in «Gefängnis» von 1949 der Hauptdarsteller mit einem Hand-Projektor, den Bergman selbst als Junge besaß, seiner Geliebten einen Kurzfilm vorführt, der die Handlung vorwegnimmt, verschwimmen Film und Leben endgültig.

 

Auch die Arbeiten über Religion und die Rolle des Künstlers aus den 1950/60er Jahren haben ihre Relevanz nicht verloren. Denn Bergman baut archetypische Konstellationen aus Verfehlung, Schuld und Buße, die überzeitlich gültig sind. Offenkundig ist das bei den Beziehungs-Dramen aus den 1970/80ern: Betrug, Eifersucht und Selbstzerstörung kommen nie aus der Mode.

 

Fünfmal verheiratet, neun Kinder

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des nordischen Familien-Dramas  "Bessere Zeiten" von Ex-Bergman-Darstellerin Penilla August

 

und hier eine Besprechung des Films  "Nader und Simin- eine Trennung"  über ein Mittelklasse-Paar in Teheran von Ashgar Farhadi, dem Ingmar Bergman des Iran und Berlinale-Sieger 2011.

 

Diese Filme sind alles andere als blutleere Kopfgeburten: Viele knistern vor Erotik. Bergman war fünfmal verheiratet und hatte neun Kinder. Im Studio verband die Mitwirkenden ein intimes Verhältnis von Vertrauen und Abhängigkeit. «Die Atmosphäre ist unwiderstehlich mit Sexualität geladen», schrieb er über Dreharbeiten. Das sieht man dem Affären-Psychothriller «Szenen einer Ehe» oder dem Geschwister-Drama «Schreie und Flüstern», beide von 1973, heute noch an.

 

Die Ausstellung dokumentiert auch weniger bekannte Seiten; etwa Bergmans Theaterarbeit von 1976 bis 1985. Er war aus Schweden geflohen, weil man ihm vorwarf, Steuern zu hinterziehen. Die Werktreue seiner Inszenierungen befremdete zwar Kritiker, die deutsches Regie-Theater gewöhnt waren, beeindruckte aber durch Sorgfalt und Sprechkultur.

 

Bergman-Film 1963 im Bundestag

 

Doch sein wichtigstes Vermächtnis sind natürlich die Kino-Produktionen. In der Retrospektive sind sämtliche Spielfilme zu sehen, darunter auch selten gezeigte. Wie «Das Schweigen», das 1963 den Deutschen Bundestag beschäftigte – wegen 118 Sekunden Sex-Szenen. Oder «Persona» von 1966, in dem die Schauspielerinnen Liv Ullmann und Bibi Andersson zu einer Person verschmelzen. Wie die Person Ingmar Bergman mit seinem Werk verschmolzen ist.