Köln

Remembering Forward – Malerei der australischen Aborigines seit 1960

Clifford Possum Tjapaltjarri (ca. 1932-2002, Anmatyerr, Northern Territory), Love Story, 1972, 45 x 61 cm, Synthetische Polymerfarbe auf Hartfaserplatte, Ebes Collection, Melbourne.
Die ganz andere Modernität der Aborigines: Das Museum Ludwig in Köln zeigt in einer faszinierenden Ausstellung 60 Werke australischer Ureinwohner. Ihr gefälliges Farbenspiel verbirgt ein Rätsel: Nichts ist hier, wie es scheint.

Kunstfreund, der Du hier eintrittst, lass alles Vorwissen fahren, dass Du über Malerei zu haben glaubst. Diese Präsentation von rund 60 Gemälden der australischen Aborigines durchkreuzt alle gängigen Vorstellungen von Tafelmalerei. Doch sie ist zweifellos eine Ausstellung moderner Kunst – keinesfalls von Kunsthandwerk oder Ethnologica.

 

Info

 

Remembering Forward - Malerei der australischen Aborigines seit 1960

 

20.11.2010 - 20.03.2011
täglich außer montags 10 - 18 Uhr im Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, Köln

 

Katalog 39,90 €

 

Weitere Informationen

 

Dass die Ureinwohner Australiens Objekte bemalen, die man an die Wand hängen kann, ist eine neuere Erscheinung. Das älteste Exponat, die Abbildung eines Känguruhs auf Baumrinde, stammt von 1931. Damals begannen Missionare, solche Rinden-Malerei zu sammeln – die Technik selbst reicht in unvordenkliche Zeiten zurück.

 

Erste Mal-Schule um 1970

 

Um 1970 besorgte der Lehrer Geoffrey Bardon Aborigines in der Siedlung Papunya Leinwände und Farben und ermunterte sie, traditionelle Motive auf Bildern festzuhalten. Aus dieser Gruppe gingen einige bekannte Aborigines-Maler hervor, etwa Ronnie Tjampitjinpa oder Turkey Tolson Tjupurrula. Am erfolgreichsten war Clifford Possum Tjapaltjarri – eines seiner Bilder wurde für 2,5 Millionen australische Dollar versteigert.

Impressionen der Ausstellung


 

Bild-Inhalte aus der dreamtime

 

Nach dem Vorbild der Papuny-Schule bildeten sich auch andernorts Künstler-Kooperativen. Wie in Warmun, wo Rover Thomas und Queenie McKenzie wirkten. Die Produktion solcher Zentren wurde alsbald von gewieften Galeristen vermarktet. Rasch schossen die Preise in die Höhe, und in den letzten Jahren sind sogar zahlreiche Fälschungen aufgetaucht.

 

An solchen Kapriolen des Kunstmarkts sind die Ureinwohner nicht beteiligt. Ihre Bildinhalte beziehen sich auf die dreamtime, die Gesamtheit aller Schöpfungs-Mythen über das Land und ihre Ahnen. Angehörige eines Clans werden auf bestimmten Altersstufen in die jeweiligen dreamings eingeweiht und sind dann für den Erhalt dieser Geschichten verantwortlich. Seit jeher werden solche Mythen auch visuell weitergegeben: mit Steinritzungen, Körper- und Sandmalerei.

 

Tüpfel-Technik deckt Tabu-Zonen zu

 

Das erklärt, warum viele Aborigines erst in hohem Alter zu malen beginnen: Nun besitzen sie die nötige Autorität, um die dreamings kompetent fixieren zu dürfen – wobei sie auch dann manches verbergen. Die als «Dot-Painting» bekannte Tüpfel-Technik, die an Pointillismus erinnert, soll häufig nichts darstellen, sondern umgekehrt etwas zudecken: Bereiche, die Uneingeweihte nicht sehen dürfen.

 

In der herkömmlichen Motivwelt wird häufig mit konzentrischen Kreisen, Hufeisen-Formen und sie verbindenden Linien ein Gebiet und seine Landmarken abgebildet: Es handelt sich um Landschafts-Malerei. Zwar stark stilisiert in der Draufsicht und Bedeutungs-Perspektive, doch stets geht es um ein Territorium und damit verbundene Ereignisse. So weit, so althergebracht.

 

Gegenwarts-Kunst in Australiens Museen

 

Die neun in Köln ausgestellten Maler zeichnet aus, dass sie den Rahmen der Tradition überschreiten, ohne ihn zu verleugnen. Sie variieren ihr Formen-Repertoire, um eigene Inhalte zum Ausdruck zu bringen, und gelangen so zu ihrem persönlichen Stil. Nicht anders als ein westlicher Künstler, der sich auf den europäischen Kunst-Kanon bezieht, ohne ihn zu kopieren. Das macht die Aborigines-Maler im besten Sinne modern: In australischen Museen werden sie heute gleichrangig neben anderer Gegenwarts-Kunst gezeigt.

 

Massaker in Bedford Downs

 

Für westliche Betrachter am leichtesten zugänglich sind Arbeiten von Paddy Bedford. «Two women looking at the Bedford Downs Massacre Burning Place» von 2002 sieht zwar aus wie ein Spätwerk von Miró, zeigt aber genau das, was der Titel besagt (siehe Bilder-Galerie): Elf schwarze Kreise stehen für die Stümpfe gefällter Bäume.

 

Auf deren Holz wurden ermordete Aborigines verbrannt – ein roter Kreis in der Bildmitte. Wagenspuren teilen das Bild in Hälften. Zwei Frauen haben sich in der schwarzen Fläche der oberen Bildhälfte versteckt und sehen als kleine Kreise zu. Das Massaker geschah auf der Farm, auf der Bedford aufwuchs: Mit Linien winziger weißer Punkte begrenzt er jede Sinn-Einheit.  

 

Speere über dem Feuer geradebiegen

 

Eine derartige Memento-Funktion an vergangenes Unheil haben viele der Werke. Etwa Clifford Possum Tjapaltjarris großformatiges «Warlugulong» von 1976. Seine Farbenpracht täuscht darüber hinweg, das auch hier im Zentrum eine Bluttat steht: Dem Mythos zufolge musste ein Mann seine Söhne verbrennen, weil sie Fleisch eines heiligen Känguruhs gegessen hatten.

 

Die Gemälde von Turkey Tolson Tjupurrula scheinen mit den Streifen-Bildern eines Daniel Buren verwandt. Doch im Gegensatz zu Burens Konzept-Kunst widmet Tjupurrula seine Serie «Straightening the spears at Ilyingaungau» einem konkreten Vorgang: Vor Kämpfen müssen die Gegner die Schäfte ihrer Speere über dem Feuer geradebiegen, damit sie gut fliegen.

 

Gegenständlich, nicht figurativ; stilisierend, nicht abstrakt 

 

Tjupurrulas Eigenart, mit Punkten lange Linien zu zeichnen, hat Dorothy Napangardi perfektioniert. Ihre mannshohen Leinwände zeigen dichte Raster von Linien aus weißen Punkten auf schwarzem Grund. Das engmaschige Geflecht erzeugt einen flimmernden Effekt; Bildtitel wie «Sandhills» und «Salt on Mina Mina» lassen an optische Täuschungen in der Wüste denken. Doch Napangardi beruft sich explizit auf dreamings ihres Warlpiri-Clans.

 

So führt das Museum Ludwig einen Bilder-Kosmos vor, der mit geläufigen Kategorien nicht zu fassen ist. Diese Malerei ist gegenständlich, aber nicht figurativ; sie ist stark stilisierend, aber nicht abstrakt. Ihre Grundformen sind Tausende von Jahren alt, aber ihre Schöpfer sind zeitgenössisch und beziehen sich durchaus auf Aktuelles. Diese Aborigines-Künstler leben in der Auseinandersetzung mit ihrer Gegenwart und schaffen damit ihre eigene Modernität – die erratisch in den gängigen Kunstbetrieb einbricht.

 

Tourismus-Behörde wirbt um Ferien-Gäste

 

Gottlob konfrontiert das Museum seine Besucher nicht kommentarlos mit dem ganz Anderen. Bündige Saaltexte, ein informativer Ausstellungsbegleiter und ein hervorragend gestalteter Katalog erlauben vertiefte Beschäftigung, ohne sich durch papierne Kunsthistoriker-Prosa quälen zu müssen. Das macht Lust, sich Australien näher anzusehen – dessen Tourismus-Behörde wirbt am Eingang mit bunten Broschüren.