München

Orientalismus in Europa

Eugène Delacroix: Der Tod des Sardanapal, 1844, Öl/Leinwand, 73,7 x 82,4 cm. Foto: © Philadelphia Museum of Art
Kitsch as Kitsch can: Für «Orientalismus in Europa» holt die Hypo-Kunsthalle pikant abgeschmeckte Ölschinken hervor, mit denen sich Europa im 19. Jahrhundert ins Märchenland des Orients träumte. Eine Parade unsterblicher Klischees.

Napoleons Kunst-Raubzug in Ägypten

 

In der Frühneuzeit waren türkische und chinesische Importe an Europas Fürstenhöfen sehr begehrt; zugleich fürchtete man den Vormarsch osmanischer Truppen. Als sie 1683 vor Wien zurückgeschlagen wurden, konnte die Türkenmode endlich ausbrechen. Unter August dem Starken in Sachsen waren Heerlager und Hochzeiten a la turque mehr Karneval als ernsthaftes Interesse an der islamischen Welt.

 

Das änderte sich mit Napoleons Ägypten-Feldzug von 1798 bis 1801: Militärisch unterlegen, kehrte die grande armée doch mit reicher Kunst-Beute beladen heim. Erstmals wurde das antike Kulturerbe des Landes am Nil wissenschaftlich erschlossen.

 

Soldaten kritzeln Graffitti an Obelisken

 

Dieser Wille zur Exaktheit ist auch den Gemälden anzumerken, die den Feldzug dokumentieren sollten. Aber gleichzeitig auch ein Hang zum Touristischen: Etwa beim «Halt der französischen Armee bei Syeme», den Jean Charles Tardieu 1812 malte. Auf dem biederen Tableau überrascht das Verhalten mancher dargestellten Soldaten.

 

Einer kritzelt Graffitti an die Basis eines Obelisken. Zwei andere lassen sich von einheimischen Schönheiten exotische Vögel zeigen oder schnuppern an hingehaltenen Blumen. Die Frauen sind halbnackt und tragen eine Art Bast-Röckchen; schwerlich Bewohnerinnen des Niltals. Als Militär-Stück getarnt, bedient der Maler touristische Fantasien.

 

Ein Joint mit der Haremsdame

 

Das bleibt der gemeinsame Nenner dieser blühenden Bildproduktion, mögen die Leinwände nun Schauplätze der Bibel, historische Ereignisse, staubtrockene Wüsten-Wadis oder muskulöse Sklaven zieren. Europa träumt sich seinen Orient zusammen und offenbart dabei schamlos eigene Begierden und Angstlüste.

 

Am stärksten sticht das in der Abteilung «Haschisch und Haremsdamen» ins Auge. Hier werden Genüsse für alle Sinne geboten. Entweder saugen träge Turbanträger an der Opiumpfeife, deren Rauch als pralle Kurven nackter Leiber emporsteigt, oder die Lustobjekte rauchen gleich selbst einen Joint. Man wüsste gern, was sich prüde Viktorianer beim Anblick solcher Para-Pornografie zugeflüstert haben.

 

Vom Märchen-Erzählen zur Dokumentation

 

Allerdings erschöpfte sich der Orientalismus nicht darin, feuchte Träume zu bebildern. Im Verbund mit Ethnologie und Anthropologie wurde er zusehends nüchterner und realistischer. Das Märchen-Erzählen verschwand zugunsten der Dokumentation von Beobachtungen mit wissenschaftlichem Anspruch.

 

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung „Das fremde Abendland? Orient begegnet Okzident von 1800 bis heute“ im Badischen Landesmuseum, Karlsruhe

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung über Carl Richard Lepsius und die Anfänge der Ägyptologie im Neuen Museum, Berlin.

 

Insofern zählen Werke der klassischen Moderne von Macke, Kandinsky und Klee, mit denen die Schau schliesst, nicht zum eigentlichen Orientalismus. Diese Maler interessierten das Licht- und Farbenspiel des Südens aus formalen Gründen; die islamische Zivilisation war ihnen ebenso fremd wie schwüle Träume von Orgien im Harem.

 

Society-Dame im persischen Kostüm

 

Allerdings porträtierte der US-Salonmaler John Singer Sargent noch 1908 eine britische Society-Dame im persischen Gewand mit perlenbesetztem Turban und indischem Musikinstrument – aus seinem Kostümfundus. Wie eine orientalische Prinzessin oder eines der von Thilo Sarrazin geschmähten «Kopftuchmädchen». Manche Klischees sterben eben nie aus.