Johannes Naber

Als Rap-Freak ins Außenministerium

Johannes Naber; Foto: ohe
«Der Albaner» mordet im Exil für den Brautpreis seiner Verlobten. Regisseur Johannes Naber über Gewalt unter Illegalen und Volkslieder über Emigration.

Seen voller Tränen weinen

 

Als der Held in seine Heimat zurückkehrt, muss er feststellen, dass die Familienbande sich auflöst: Sein Bruder hat ihn verraten und sich mit dem zugeschickten Geld abgesetzt. Zerstört der Wohlstand, der aus dem Ausland nach Albanien fließt, die traditionellen Strukturen?

 

In der Tat. Nach der Wende 1991 in Albanien gab es eine riesige Auswanderungswelle. Damals herrschte im Land völlige Hoffnungslosigkeit. Das hat sich geändert, doch im Prinzip ist es weiterhin für junge Männer die erste Wahl, zumindest zeitweise ins Ausland zu gehen. Das führt nicht unbedingt dazu, dass es ihnen besser geht. Die westlichen Einflüsse, die das Land aufsaugt wie ein Schwamm, verdrängen die eigene Kultur. Die Emigration trägt ihren Teil dazu bei; die Rückkehrer bringen eine Lebensweise mit, die sie im Ausland kennen gelernt haben.

 

Allerdings ist Auswanderung auch ein Leitmotiv der albanischen Nation. Sie gehört seit Jahrhunderten zum kulturellen Kanon – jedes zweite Volkslied handelt von jungen Männern, die ins Ausland gehen, und jungen Frauen, die Seen voller Tränen weinen, weil sie jahrelang nicht zurückkommen. Die Albaner romantisieren in gewisser Weise ihre Emigration.

 

Ansteckende Aufbruchsstimmung

 

Als jüngster Staat des Kontinents hat der Kosovo in vielerlei Hinsicht seinen Platz in Europa noch nicht gefunden. So wird Regierungschef Thaci vorgeworfen, in den 1990er Jahren in Organhandel verstrickt gewesen zu sein. Würde Sie das als Thema für einen Film reizen?

 

Ich mag mir kein Urteil darüber erlauben, ob an diesen Vorwürfen etwas dran ist. Interessanter finde ich die Frage, wer sie erhebt und wem sie dienen. In einem so jungen Staat wie dem Kosovo bilden sich viele Strukturen erst heraus, die bei uns selbstverständlich sind. Sie müssen noch ihre Wege finden – wie eine Quelle, die frisch aus dem Boden kommt, erst den Weg finden muss, auf dem sie zu Tal rinnen kann. Das gilt auch für das politische Personal.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension von "Der Albaner".

 

Ein Beispiel: Ich habe einen Freund aus der Rap-Szene von Prishtina – dort gibt es sehr guten sozialkritischen Rap, der im Ausland wegen der Sprachbarriere kaum Beachtung findet. Mein 30-jähriger Bekannter ist hoch intellektuell und wird von seinen Freunden nur „der Professor“ genannt; er hat mir viel über deutsche Philosophie erzählt.

 

Als ich ihn vor zwei Jahren traf, hatte er sich gerade im Außenministerium beworben; jetzt arbeitet er dort auf einem höheren Posten – kein Bürokrat, der sich sein Leben lang darauf vorbereitet hat, sondern ein Freak. Diese Dynamik und Aufbruchstimmung, die im Kosovo spürbar sind, beeindrucken mich; das ist ansteckend.