Leipzig

Tschechischer Kubismus im Alltag – Artĕl 1908 – 1935

Dose in Form eines Kristalls: Pavel Janák, 1911, Graniton; Foto: Gabriel Urbanék, Prag
Ein Fest des avantgardistischen Designs: Die Artĕl-Kooperative in Prag schuf eine kubistische Welt. Ihre kantigen Vasen und zackigen Dosen zeigt nun das Grassi-Museum im schönsten Ausstellungssaal Deutschlands.

Kunstgeschichte ist ungerecht: Alle Welt kennt das Bauhaus und die Wiener Werkstätten, doch die Artĕl-Kooperative in Prag ist nur Liebhabern ein Begriff. Dabei gestalteten die tschechischen Kunsthandwerker ebenso avantgardistisch und visionär wie ihre berühmten Kollegen. 

 

Info

Tschechischer Kubismus im Alltag. Artel 1908 - 1935

 

25.03.2011 - 03.10.2011

täglich außer montags von 10 - 18 Uhr im Grassi Museum für angewandte Kunst, Johannisplatz 5 - 11, Leipzig

 

Katalog 29,90 €

 

Weitere Informationen

Ab 1912 wurde Prag zu einem Zentrum des Kubismus. Vor allem in der Baukunst: Junge Architekten wollten für ihr Land mit kantigen Formen einen unverwechselbaren Stil schaffen. Ihre meist erhaltenen Häuser sehen aus wie Kaleidoskope: Dreiecke, Rhomben und Prismen zacken und zucken über die Fassaden.

 

Spielzeug in Volkskunst-Formen

 

Einer ihrer Wortführer war Pavel Janák; er spielte auch beim Artĕl eine herausragende Rolle. Die Genossenschaft hatte sich bereits 1908 gegründet, um dem tschechischen Kunstgewerbe zeitgemäße Entwürfe zu liefern. Sie orientierte sich anfangs an der Volkskunst – etwa mit buntem Spielzeug aus schlichten Grundformen.


Impressionen der Ausstellung


 

Das änderte sich unter Janáks Einfluss: Die Palette wurde auf Primärfarben reduziert. Dagegen explodierte das Formenvokabular: Glas, Geschirr oder Schmuck wurde eckig und asymmetrisch, verziert mit geometrischem Dekor. Bald bot Artĕl alles vom Briefpapier über Mode und Tapeten bis zur Urne – man konnte sich komplett kubistisch einrichten.

 

AG wurde 1935 liquidiert

 

Was wenige Tschechen taten: Die Einzelstücke oder Kleinserien waren teuer. Artĕl hatte keine eigenen Werkstätten, sondern ließ im Auftrag fertigen. Daran änderte auch 1920 die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft nichts. Die Weltwirtschaftskrise machte ihr den Garaus: Sie wurde 1935 liquidiert.

 

Doch ihr Nachlass ist riesig. Im Grassi-Museum sind mehr als 500 Objekte vom Fingerring bis zum Kleinmöbel zu sehen. Ein umfassender Überblick über die enorme Bandbreite des Artĕl: Seine Mitglieder wollten den Alltag völlig umgestalten. Noch heute erstaunt die Kühnheit mancher Entwürfe: Keramik-Kristalle als Dosen, Blech-Gebirge als Aschenbecher. Andere Ideen, etwa sechseckige Tassen, wurden später Massenware.

 

Dreikant-Pfeiler und Rautennetz-Oberlichter

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine kultiversum-Rezension der Ausstellung "William Wauer und der Berliner Kubismus".

All das wird glücklicherweise in der Pfeilerhalle gezeigt: Sie galt bei ihrer Eröffnung 1927 als der schönste Museums-Saal in Deutschland. Erst im vergangenen Jahr wurde der doppelstöckige Art-Déco-Raum fertig restauriert. Nun bietet er für diese Ausstellung den idealen Rahmen.

 

Seine roten Dreikant-Pfeiler mit eingebauten Vitrinen, goldenen Leuchter, Brüstungen und Rautennetz-Oberlichter passen perfekt zu den kubistischen Kleinodien. Das Interieur vibriert gleichsam vor Dynamik: Als hätten die Artĕl-Designer die ganze Welt nach ihren Wünschen geformt.