Berlin

art berlin contemporary: about painting

Johannes Kahrs: Untitled (girl standing, Detail), 2011, 167,0 x 107,0 cm, oil on canvas. Foto: Gunter Lepkowski
Das «Art Forum» ist tot, es lebe die «abc»: Die frühere Satelliten-Messe mausert sich zur Hauptattraktion des Kunstherbstes. Mit inhaltlich wie personell stimmigem Konzept, so dass man den verblichenen Vorgänger nicht vermisst.

Ist der große Bruder weg, wird man rasch erwachsen. Selbst wenn der Abc-Schütze das Grundschulalter noch nicht erreicht hat: Die «art berlin contemporary» besteht erst seit vier Jahren – und soll nun die Lücke füllen, die das Ende des «Art Forum» riss. Wobei noch unklar ist, ob deren Absage für 2011 ihr endgültiges Aus bedeutet, oder sich die Messegesellschaft als Veranstalter und maßgebliche Galerien nicht doch wieder zusammenraufen. Totgesagte haben in der Hauptstadt oft ein langes Leben – und palavern gern endlos darüber.

 

Info

 

art berlin contemporary

 

08.09.2011 - 11.09.2011
täglich 12 bis 21 Uhr, am Sonntag bis 19 Uhr in der Station-Berlin (ehemaliger Postbahnhof am Gleisdreieck), Luckenwalder Straße 4 - 6, Berlin

 

Katalog 10 €

 

Offizielle Website

 

Doch in diesem Kunstherbst steht die «art berlin contemporary» konkurrenzlos da: Aus der Satelliten-Veranstaltung, die noch im vergangenen Jahr auf dem Messegelände unterkam, ist unversehens die Haupt-Attraktion geworden. Ihre Ausrichter – ein Verbund von acht Berliner Galeristen – bestehen die Herausforderung glänzend: Mit 125 Galerien und 130 Künstlern hat sich die Teilnehmerzahl des Vorjahres mehr als verdoppelt. Aus dem Stand wird der Ableger zur funktionierenden Großmesse.

 

Trotz – oder vielleicht gerade: wegen – ihrer eigentümlichen Konstruktion: Auf der abc sind nur Galerien vertreten, die dazu eingeladen werden. Sie bringen nicht einfach mit, was sie im Portfolio haben oder in ihre aktuelle Verkaufsstrategie passt, sondern erhalten Vorgaben. Von Kuratoren der Messe: diesmal Rita Kersting, Ex-Direktorin des Kunstvereins in Düsseldorf, und Marc Glöde, der schon 2010 dafür verantwortlich zeichnete.

Impressionen der Kunstmesse


 

Das Duo hat als Motto «about painting» gewählt: nicht einfach Malerei, sondern Werke, die sich mit der Produktionsweise von Malerei beschäftigen – und dabei häufig ohne Farbe oder Leinwand auskommen. Mehr als die Hälfte der Künstler hängt keine bemalten Bildträger an die Wand.

 

Malerei als ewiger Lazarus

 

Trotzdem sorgen der Titel wie die mäandernde Raumgestaltung von Jan Ulmer für einen – obgleich vagen – thematischen Zusammenhang, der sie wohltuend von anderen Messen unterscheidet: Sie ist kein reiner Gemischtwarenladen oder Kunst-Supermarkt mit vollgestopften Kojen-Batterien. Ebenso wenig – wie viele Ausstellungen – die Bebilderung einer These anhand von mehr als 100 Beispielen.

 

Welche Spielräume die Fokussierung auf eine der ältesten Kunst-Disziplinen eröffnet, verdeutlicht bereits der Auftakt: Den Besucher begrüßt ein «Maler mit Palette» von Hans-Peter Feldmann (Galerie Mehdi Chouakri / Konrad Fischer). Nachdem er Jahrzehnte lang mit Foto-Serien arbeitete, überpinselt Feldmann auf dem Selbstporträt eines romantischen Künstlers dessen Augen mit einem Balken. Diese vieldeutige Geste – Anknüpfen, Negation, Anonymisierung, Stigmatisierung – signalisiert, wie viele Perspektiven auf Malerei heute möglich sind: Sie wird regelmäßig für tot erklärt und ersteht ebenso häufig wieder auf.

 

Lackskin-Arbeiten aus dem Wasserbad

 

Solche Permanent-Reinkarnation darf das Phantasma vom Fortschritt in der Kunst getrost ignorieren. Es sind gerade ältere Werke, deren individuelle Handschrift und Ausstrahlung verblüffen. Etwa Lackskin-Arbeiten von André Thomkins aus den 1960er Jahren (Wolfgang Werner): Der Schweizer tropfte und blies Lacke auf Wasser; anschließend schöpfte er aus dem Wasserbad seine Bilder. Deren Formenreichtum und Leuchtkraft sind unübertrefflich – in ihnen scheint Abstrakter Expressionismus schwerelos zu schweben.

 

Dass allein bunte Pigmente auf Leinwand immer noch erstaunliche Ergebnisse zeitigen können, demonstriert auch ein Riesenformat von Katharina Grosse (Galerie Barbara Gross): Explodierende Gebilde vibrieren vor Spannung. Ähnlich die vielschichtigen Collagen von Thomas Hirschhorn: Seine Übermalungen machen sie zu anrührenden Chiffren des Leids. Oder, am anderen Ende des Farbenspektrums, das fast monochrome Gemälde «Liberation (1945)» von Marlene Dumas (Paul Andriesse): Mit sparsamten Mitteln porträtiert sie einen Holocaust-Überlebenden in beklemmender Intensität.