Anfangen, ohne loszulegen: Der Film beginnt mit einer akademischen Pause. James Miller, der über seinen preisgekrönten Essay-Band «Certified Copy» sprechen soll, lässt sein italienisches Publikum warten. Endlich erscheint er, entschuldigt sich mit schalen Scherzen und schwadroniert drauflos: über die unsinnige Wertschätzung des Originals und die Allgegenwart von Kopien. Die taugten häufig ebenso viel wie, sogar mehr als ihre Vorbilder – schließlich seien wir alle nur genetische Kopien unserer Vorfahren.
Info
Die Liebesfälscher - Copie Conforme
Regie: Abbas Kiarostami, Frankreich/Italien 2010, 103 min.;
mit: Juliette Binoche, William Shimell, Jean-Claude Carrière
Hotelzimmer der Hochzeitsnacht
Miller meldet sich, aber in ihrem Kellerloch von Antiquitäten-Laden will er nicht bleiben. Er fordert die Französin zur Landpartie durch die Toskana auf; sie chauffiert ihn zum nächsten Kleinstädtchen. Es ist Sonntag, fröhliche Hochzeits-Gesellschaften tummeln sich in den romantischen Gassen. Doch flirten mag der Schriftsteller nicht. Bald verbreitet er düstere Sentenzen über Einsamkeit und Tod, während Mama von Anrufen ihres Sohns gestört wird.
Im Café hält die Wirtin das Duo für ein seit 15 Jahren verheiratetes Paar. Beide gehen darauf ein: Anstelle charmanter Sottisen werfen sie sich nun gallige Spitzen zu, was den Spaziergang rasch zum Spießrutenlauf macht. Ihr Streit eskaliert im Restaurant. Bis Juliette zur Versöhnung James in ein Hotelzimmer lockt, in dem sie ihre gemeinsame Hochzeitsnacht verbracht haben will. Ihr Gurren nützt nichts: Der Gatte denkt nur an den Zug, den er am Abend nehmen muss.
Offizieller Film-Trailer
Szenen einer fiktiven Ehe im Zeitraffer: Seinen ersten Film im Ausland inszeniert Abbas Kiarostami, Grandseigneur des iranischen Autoren-Kinos, als verwirrendes Kammerspiel. Was ernst gemeint und was nur vorgetäuscht ist, bleibt unauflösbar in der Schwebe. Als sollten beide Protagonisten 100 Minuten lang die Ausgangsthese des Buch-Autors illustrieren.
Wobei Sparringspartner Shimell seinen Part als egozentrischer Bescheidwisser mit nervtötender Konsequenz durchhält: stets geistreich und arrogant, kultiviert und verklemmt. Dennoch würde das Rollenspiel mit Dialogen in drei Sprachen auf Dauer als allzu ausgeklügelte Denksport-Aufgabe langweilen, wäre da nicht Juliette Binoche.
Minutenlang nur Binoches Gesicht
Es ist ihr Film. Wie sie sämtliche Register ihrer Schauspielkunst zieht; wie sie während eines Wortwechsels binnen Sekunden mehrmals ihren Ausdruck ändert; wie sie alle Regungen ihrer Mimik blitzschnell an die Situation anpasst; wie sich weibliche Gemütszustände von aufkeimender Verliebtheit einer auf den zweiten Frühling Hoffenden bis zur Angst vor dem Altern einer allein erziehenden Mutter in ihren Zügen spiegeln – daran kann man sich kaum satt sehen. Kiarostami tut gut daran, die Kamera minutenlang auf ihrem Gesicht ruhen zu lassen.
Hintergrund
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