«War Shakespeare ein Betrüger?» fragt das Plakat des neuen Films von Roland Emmerich. Der Katastrophenfilm-Regisseur, der als einer von wenigen Deutschen in Hollywood die Puppen tanzen lässt, geht dieser Frage in «Anonymus» nur am Rande nach: Das Sein-oder-nicht-Sein des bedeutendsten Dramatikers der Literaturgeschichte spielt nur eine Nebenrolle.
Info
Anonymus
Regie: Roland Emmerich, 130 Min., Großbritannien/ Deutschland 2011
mit: Rhys Ifans, Vanessa Redgrave, Rafe Spall
Das Jahrhunderte alte Rätselraten, ob Shakespeare seine Stücke selbst geschrieben hat, dient Emmerich als Aufhänger für sein prächtig ausgestattetes Historien-Drama, das als Verschwörungs-Thriller kostümiert ist. Im Mittelpunkt der verwickelten Handlung steht ein anderer Protagonist: Edward de Vere, 17. Earl of Oxford.
Jenen Edward de Vere (Rhys Ifans) vermutet Emmerich in Anlehnung an Kurt Kreilers Buch „Der Mann, der Shakespeare erfand: Edward de Vere“ hinter dem Theater-Genie. Ihn rückt der Film ins Zentrum der Intrigen und Manipulationen am Hof von Elisabeth I. (jung: Joely Richardson, alt: Vanessa Redgrave). Dahinter stecken vor allem ein Berater der Queen, William Cecil (David Thewlis), und dessen Sohn Robert Cecil (Edward Hogg).
Ringelreihen der Ranküne
Das Ränkespiel seiner Akteure ist gleichermaßen Fluch und Segen der opulent inszenierten Handlung. In der ersten Hälfte mutet Emmerich dem Zuschauer einiges zu und verwirrt ihn mit einem kaum überschaubaren Beziehungsgeflecht rund um den britischen Hof. Dieser Ringelreigen der Ranküne droht zu überfordern.
Offizieller Video-Trailer
Shakespeare als ungehobelter Klotz
Da sticht William Shakespeare (Rafe Spall) fast schon erholsam aus dem Gewusel der Figuren heraus. Die Nebenrolle ist klar umrissen: ein recht einfach gestrickter Bursche aus der Arbeiterschaft, der praktisch als Sidekick fungiert. Emmerich stellt den Weltmeister der Wortspiele und vieldeutigen Bühnen-Dialoge als ungehobelten Klotz dar, der seinen Erfolg, der ihm in den Schoß fällt, in vollen Zügen genießt, wenn ihn sein Publikum frenetisch für fremde Stücke feiert – oder sich der Lebemann Shakespeare den Frauen und dem Alkohol hingibt.
Kein Wunder, dass sich der wahre Theater-Autor de Vere in Emmerichs Lesart viel lieber den tiefsinnigen Feingeist Ben Jonson (Sebastian Armesto) als Strohmann gewünscht hätte. Für den hielt jedoch das Schicksal nur die Rolle des mehr und mehr frustrierten Neiders bereit. Jonson erreicht nie die fatale Tragik eines de Vere, der die Macht seiner Worte und Stücke voller Hybris überschätzt, womit er sein Lebenswerk aufs Spiel setzt.
Sittenbild des elisabethanischen Englands
Anstatt bildgewaltig den Shakespeare-Mythos zu überprüfen, knöpft sich der Regisseur eine Lichtgestalt der europäischen Literaturgeschichte vor. Zwar zerstört er sie nicht, doch mit der beiläufigen Art, in der Emmerich Shakespeare behandelt, stellt er auch dessen Bedeutung infrage – und das sehr ruppig.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Dennoch zeichnet der Film – das ist seine große Stärke – ein spannendes Sittenbild der herrschenden Klasse im elisabethanischen England. In dessen Mittelpunkt steht mit de Vere ein verkanntes Genie, das letztlich scheitert. Ob er wirklich Shakespeare seine Stücke auf den Leib geschrieben hat, bleibt offen. Die belegbaren Fakten lassen einen Spielraum für Interpretationen, den Emmerich mit «Anonymus» zu einer denkbaren These verdichtet – mehr aber auch nicht.