Michaël R. Roskam

Bullhead

Wie eine Herde wilder Stiere: Detail des Plakatmotivs von "Bullhead". Foto: Rapid Eye Movies
(Kinostart: 24.11.) Nicht nur für Vegetarier: Aus dem Katastrophen-Land Belgien kommt ein düsterer Krimi, der Mafia-Machenschaften in der Rinderzüchter-Branche mit dem Psychodrama eines Bodybuilders verknüpft. Guten Appetit!

Das kleine Belgien, 1830 als Pufferstaat zwischen Frankreich und den Niederlanden gegründet, ist in den letzten Jahrzehnten vielleicht nicht zum anus mundi, aber Westeuropas herabgesunken. Zwar wurde die ausufernde Staatsverschuldung inzwischen etwas eingedämmt; Belgien zählt nicht zu den Euro-Pleitekandidaten.

 

Info

Bullhead

 

Regie: Michaël R. Roskam, Belgien 2011, 120 min.;
mit: Matthias Schoenaert, Jeroen Perceval, Barbara Sarafian

 

Englische Website zum Film

Doch seit fast eineinhalb Jahren gibt es in der EU-Hauptstadt Brüssel keine gewählte Regierung mehr: Flamen und Wallonen sind völlig zerstritten. Zuvor machte das Königreich vor allem mit etlichen Korruptions-Affären und dem widerwärtigsten Skandal der Nachkriegszeit auf sich aufmerksam: Ein Pädophilen-Netzwerk hatte Dutzende Schulkinder umgebracht.

 

Fette Gewinne mit Turbo-Mästung

 

Belgiens rund um die Uhr elektrisch beleuchtete Autobahnen überstrahlen noch andere Schattenseiten: etwa kriminelle Machenschaften in der Tierhaltung. Turbo-Mästung mit Hormonen ist zwar verboten, bringt aber fette Gewinne ein – und wird mit brutaler Gewalt betrieben. Der Veterinärinspektor Karel van Noppen, der dazu ermittelte, wurde 1995 ermordet.


Offizieller Film-Trailer


 

Von dieser Branche, einem Schwergewicht der belgischen Wirtschaft, handelt «Bullhead». Seinen ersten Langfilm hat Regisseur Michaël R. Roskam sorgfältig vorbereitet: Er ließ Hauptdarsteller Matthias Schoenaerts zwei Jahre trainieren, bis er 27 Kilo Muskelmasse zugelegt hatte. Zudem mussten sich alle Mitwirkenden die lokalen Dialekte Westflanderns aneignen – der Film spielt in und um Limburg.

 

Stiernacken als Schauspieler

 

Das mag im vom Sprachenstreit besessenen Belgien wichtiger sein als hierzulande. Dennoch merkt man dem Film ab dem ersten Augenblick seine minutiöse Milieu-Studie an. In erdigen Farbtönen, die förmlich nach nassem Schlamm riechen, und mit kantigen Stiernacken als Schauspielern, die einander in Macho-Ritualen überbieten, kommt «Bullhead» wie ein Rammbock daher, der direkt auf den Solarplexus des Zuschauers zielt.

 

Die Handlung ist so undurchsichtig wie das Geschäftsgebaren der Rinder-Halter. Züchter Jacky Vanmarsenille (Schoenaerts) hat als Junge bei einer Rangelei um das Mädchen Lucia seine Hoden verloren. Zum Ausgleich spritzt er sich Testosterone und wuchtet Hanteln, bis er wie ein Michelin-Männchen aussieht. Diederik Maes (Jeroen Perceval), sein alter Freund aus Kindertagen, ist schwul, will das verbergen und arbeitet zudem als V-Mann der Polizei.

 

Fesselnde Einblicke in Ställe und Züchter-Köpfe

 

Die sucht einen Mörder in den Reihen der Hormon-Mafia. Dadurch gerät Jacky in das Visier der Fahnder und flüchtet vor ihnen zu seiner Jugendliebe Lucia. Als die eine Streife ruft, brennen bei Jacky die Sicherungen durch: Er wütet wie ein wilder Stier.

 

Dieser Krimi-Plot ist solide konstruiert und vermag trotz mancher Verästelung durchgängig zu fesseln. Doch das eigentliche Ereignis des Films sind Einblicke in Ställe und Köpfe von Rinder-Züchtern, die er gewährt – eine Welt, die sonst praktisch nie auf der Leinwand zu sehen ist.

 

Sittenstück in Joppen und Gummistiefeln

 

Von braven Bauern und glücklichen Kühen keine Spur. Stattdessen agieren kaltschnäuzige Subventions-Cowboys, die für ihre Profitmargen über Leichen gehen. Als wäre es ein Sittenstück über Umgangsformen an der Börse – nur in Joppen und Gummistiefeln anstelle von Maß-Anzügen und italienischen Designer-Schuhen.

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

«Bullhead» ist ein schwerer Brocken, der zart besaiteten Gemütern auf den Magen schlagen kann. Und damit verstörend unvergessliches Kino – leichter verdauliche Kost oder Schaumgebäck gibt es andernorts genug. Danach muss man nicht unbedingt zum Vegetarier werden; eine leichte Rinderbrühe wäre durchaus bekömmlich. Aber bitte auf Kalorienbomben wie belgische Pralinen zum Dessert verzichten!