
Was macht eigentlich David Byrne heutzutage? Für Nachgeborene: Als Bandleader der «Talking Heads» war er eine Leitfigur der schillernden Bewegung, die man Ende der 1970er Jahre etwas unbeholfen «New Wave» oder «Postpunk» nannte. Seine nur scheinbar naiven, tatsächlich unauslotbar vieldeutigen Song-Texte verliehen dem nervösen Angestellten-Funk der «Heads» eine raffinierte Doppelbödigkeit, die einer ganzen Generation von Pop-Theoretikern den Kopf verdrehte.
Info
Cheyenne -
This Must Be The Place
Regie: Paolo Sorrentino, 118 min., Italien/ Frankreich/ Irland 2011
mit: Sean Penn, Frances McDormand, David Byrne
Kunst-Fibel wie Gratis-Bibel gestaltet
Seither verfolgt Byrne als Freigeist allerlei Projekte, wie es ihm beliebt: Auf seinem Label «Luaka Bop» hat er neben Solo-Alben etliche Latino-Klänge herausgebracht, vor allem aus Brasilien. Für diverse Theaterabende spielte er Soundtracks ein – 1988 bekam er mit Ryuichi Sakamoto für die Film-Musik von «Der letzte Kaiser» einen Oscar. Zur Kunst-Biennale von Valencia steuerte er 2001 die Lese-Fibel «The New Sins» bei; sie war wie Gratis-Bibeln evangelikaler Christen gestaltet.
Byrne hat in «The Forest» einen Abgesang auf die industrialisierte Welt und mit Fatboy Slim eine Pop-Oper über die philippinische Diktatoren-Gattin Imelda Marcos komponiert. Im Buch «Bicycle Diaries» pries er 2009 die Freuden des Radelns durch die Metropolen der Welt. Bei diesem genialisch irrlichternden Künstler weiß man nie, was ihm als nächstes einfällt.
Offizieller Film-Trailer
Gruftie mit unmenschlichem Antlitz
Nun überrascht er mit einem Gastauftritt in «Cheyenne». Es ist Byrnes erste Filmrolle seit seinem Mockumentary «True Stories» von 1986; damals erforschte er wie ein Ethnologe den Alltag in einer texanischen Kleinstadt. Man sieht: Der frühere «Heads»-Frontmann, dessen Haar längst schlohweiß ist, gestaltet seine zweite Laufbahn abwechslungsreich. Byrne versteht es, in Würde zu altern.
Im Gegensatz zu Cheyenne, den Sean Penn verkörpert: Er verleiht dem Schmähwort «Gruftie» ein unmenschliches Antlitz. Mit hochtoupierter Mähne, fingerdicker Schminke, in Schlabber-Jacke, schwarzen Röhrenjeans und Plateau-Turnschuhen wirkt er wie die Karikatur eines Gothic-Rockers, der irgendwo zwischen Ozzy Osbourne von «Black Sabbath», Robert Smith von «The Cure» und Alan Vega von «Suicide» (kennt dieses Duo noch jemand?) hängen geblieben ist.
Hirn mit Heroin weg gesnieft
Als Ex-Teenie-Idol hat sich Cheyenne sein Hirn mit Heroin weg gesnieft: Greinend faselt er infantiles Zeug, grenzdebil schlurft er durch die Gegend und zieht dabei eine Art Rollator oder Trolley-Koffer hinter sich her. Gottlob passt seine Gattin, die Feuerwehrfrau Jane (Frances McDormand), unablässig auf ihn auf: Andernfalls müsste er sofort in betreutes Wohnen eingewiesen werden.
Cheyenne schlägt seine Zeit mit Tischtennis oder Pelota tot, verkuppelt verwirrte Kids oder starrt ins Leere. Bis sein Vater im Sterben liegt, den er seit 30 Jahren nicht gesehen hat: Söhnchen fliegt nach New York. Am Totenbett erfährt er, dass Papa ein KZ-Opfer und seinem Peiniger auf der Spur war. Von einem Serge-Klarsfeld-Imitator (Judd Hirsch) lässt er sich überreden, den Nazi-Schergen weiter zu jagen: Auftakt zu einem taumelnden Road-Movie durch die USA.