Christian Stückl

Die große Passion

Das Kreuz alleine tragen: Regisseur Christian Stückl zeigt seinen Jesus-Darstellern bei einer Probe, wie das geht. Foto: if... Cinema
(Kinostart: 17.11) Die größte Geschichte aller Zeiten: Alle zehn Jahre führt Oberammergau die Leidensgeschichte Christi auf. Regisseur Jörg Adolph dokumentiert den Kreuzweg zur Premiere – ein erbauliches Spektakel selbst für Atheisten.

Die Passionsspiele von Oberammergau haben ein biblisches Alter erreicht: Seit 1633 wird im oberbayrischen Dorf alle zehn Jahre «Das Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus» aufgeführt. Wie es entsteht, war bislang so geheim wie eine Papstwahl. Jörg Adolph enthüllt das Mysterium.

 

Info

Die große Passion

 

Regie: Jörg Adolph, 144 min., Deutschland 2011;
mit: Christian Stückl, Frederik Mayet, Otto Huber


Website zum Film

Sein Dokumentarfilm über die Vorbereitungen dauert zweieinhalb Stunden – und ist keine Minute zu lang. Im Gegenteil: Ein magischer Sog lässt selbst Atheisten in diese seltsame Welt aus Alpen-Kitsch und Profit-Sucht, inniger Volksfrömmigkeit und unchristlichem Zank um einzelne Text-Zeilen eintauchen. Anschließend möchte man sofort die sechsstündige Mammut-Aufführung sehen, um eine geniale Inszenierung zu erleben – dank der Regie-Leidenschaft von Christian Stückl.

 

Rauchverbot auf der Freilichtbühne

 

Der gebürtige Oberammergauer, im Hauptberuf Intendant des Münchener Volkstheaters, hat das uralte Spektakel entstaubt und ohne Bruch mit der Tradition ins 21. Jahrhundert befördert. Indem er antisemitische Passagen der Vorlage streicht, die Handlung im antiken Judentum verankert und die Leidensgeschichte Christi in die frohe Botschaft des Neuen Testaments einbettet. Samt «Lebender Bilder», die Schlüsselszenen des Alten Testaments als unbewegte Zwischenspiele auf die Bühne bringen.

 

Offizieller Video-Trailer

 


 

Dieser Reformatoren-Rolle schlägt Neid und Missgunst entgegen: von geschäftstüchtigen Honoratioren, die alles belassen wollen, wie es seit Menschengedenken war, damit die Silberlinge rollen. Die verschiedenen Bekenntnisse liefern sich ausufernde Redeschlachten im Gemeinderat. Aus dessen Sitzungen bleibt die Kamera zwar ausgesperrt, doch linst sie von außen durch die Fensterscheiben. Stückls Widersacher schrecken vor nichts zurück: Dem Kettenraucher wollen sie sogar das Paffen während der Proben verbieten.

 

Komparsen-Ziegen von Kürzung bedroht

 

Dabei erkennt man nur an Rauchwölkchen, wo auf der riesigen Freilichtbühne der Regisseur gerade zu finden ist. Meist inmitten Scharen von Schauspielern und Statisten: Hingebungsvoll erklärt er den Laien-Darstellern, wie sie das biblische Personal verkörpern sollen. Ohne falsches Pathos, aber mit realistischer Drastik: Sie deklamieren und disputieren auf Teufel komm raus, ringen und raufen, dass die Gewänder-Fetzen fliegen. Theaterblut fließt literweise – die Kreuzigung wird x-mal geprobt, bis jeder Nagel sitzt.

 

Das eigentliche Drama spielt sich aber hinter den Kulissen ab. Nicht nur der Bühne, wo Hunderte von Komparsen kostümiert und zu ihrem Einsatz dirigiert werden müssen; inklusive lebendiger Ziegen – die von Budget-Kürzung bedroht sind – und einem echten Esel als Reittier für den Heiland. Sonden auch im jahrelangen Tauziehen zwischen Stückls Regie-Team, den Gemeinde-Oberen und allerlei Einflüsterern, die ihr eigenes Süppchen kochen.

 

«Das ist Bayern!» versus «Das ist CSU!»

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine kultiversum-Reportage über die Passionsspiele 2010 in Oberammergau.

Evangelikale TV-Sender laden Jesus-Darsteller Frederik Mayet zur Bibel-Talk-Show. Kirchliche Würdenträger wünschen sich ein erbauliches Schauspiel, das Gottesdienste und Klingelbeutel füllen soll. Die US-Lobby «Anti-Defamation League» will es möglichst philosemitisch und die Hetzreden des jüdischen Hohepriesters Kaiphas herunterspielen. Ministerpräsident Horst Seehofer auf Stimmenfang nutzt die Premierenfeier zum Eigenlob: «Das ist Bayern!» Diesen «Fortschritt» preist Zwischenrufer Stückl: Amtsvorgänger Edmund Stoiber habe nach der Uraufführung noch resümiert: «Das ist CSU!»

 

Solche Schmankerl serviert Film-Regisseur Adolph mit Genuss. Sorgfältig hat er aus 200 Drehtagen und 300 Stunden Material die besten Szenen herausgefiltert. Sein Making-of wird nie salbungsvoll oder hagiographisch, sondern zeigt einfühlsam, wie windungsreich der Kreuzweg zur Premiere verläuft. Hereinspaziert zum großen Welttheater der Passionsspiele – der «größten Geschichte aller Zeiten»!