Kein Film hat ein größeres Zielpublikum: Der Tod ist jedem Menschen gewiss. Hier kommt die Schreckensnachricht gleich zum Auftakt. Dr. Uwe Träger verkündet sie Frank Lange (Milan Peschel) und seiner Frau Simone (Steffi Kühnert) im Besprechungszimmer: Frank hat einen unheilbaren Hirntumor und wird bald sterben.
Info
Halt auf freier Strecke
Regie: Andreas Dresen, 110 min., Deutschland 2011;
mit: Milan Peschel, Steffi Kühnert, Dr. Uwe Träger
Zwischen Spiel- + Dokumentarfilm
Selbst die Unterbrechung durch einen Telefonanruf ist nicht inszeniert: Träger muss für den OP-Koordinator ständig erreichbar sein. Nur die versteinerte Miene von Steffi Kühnert, während ihr eine Träne die Wange hinunterrollt: Das ist Schauspielkunst.
Träger ist nicht der einzige medizinische Fachmann im Film. Auch die Palliativ-Ärztin Petra Anwar, die sich um Frank kümmert, geht diesem Beruf ebenso im wahren Leben nach. Wie in früheren Werken verwischt Regisseur Andreas Dresen wieder die Grenze zwischen Spiel- und Dokumentarfilm: Das Einfamilien-Haus, in dem die Langes vor kurzem eingezogen sind, wurde vom Filmteam gekauft, damit die Dreharbeiten ungestört ablaufen konnten.
Auftakt-Szene des Films: Dr. Uwe Träger erklärt die Diagnose
Zum Gemüse werden
Mit seinem Verismus behandelt Dresen Zonen der Wirklichkeit, die zwar gewöhnlich, aber auf der Leinwand selten zu sehen sind. Meist geht es um den Alltag kleiner Leute: der «Polizistin» im Jahr 2000, Seitensprünge unter befreundeten Ehepaaren in «Halbe Treppe» von 2002 oder eine allein erziehende Mutter und ihre Freundin in «Sommer vorm Balkon» 2005. In «Wolke 9» verband zwei Rentner 2008 eine leidenschaftliche Affäre – inklusive Sex-Szenen.
Nun also der Tod. Genauer: das Dahinsiechen von Frank, und wie es seine Familie miterlebt. Das verläuft so nervenaufreibend erbärmlich, wie Krepieren nun einmal ist – die haltlosen Weinkrämpfe des Vaters. Seine Ausfall-Erscheinungen und Kollapse, die immer öfter auftreten. Sein allmähliches Degenerieren zu einem stammelnden, sabbernden Bündel, das nur noch durch Pflege rund um die Uhr, Bestrahlungen und Schmerz linderndes Morphium zusammengehalten wird. Das Französische kennt dafür die treffende Metapher: «zum Gemüse werden».
Zuschauer als Familien-Angehöriger
Der Zuschauer ist quasi als Familien-Mitglied dabei. Erlebt mit, wie Frank jede Autorität und Selbstbeherrschung verliert. Wie er mit seinem Schicksal hadert und mit Wutanfällen seine Angehörigen terrorisiert. Wie die 14-jährige Lilli und der achtjährige Mika sprach- und fassungslos die Zersetzung ihres Papas mit ansehen müssen. Und wie sich Simone aufopferungsvoll um ihren Mann und die Kinder kümmert – bis ihre Nerven blank liegen und sie Frank einen baldigen Tod wünscht.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.