Heimatkunde – das klingt nach Grundschul-Unterricht. Nach Wandertagen in den heimischen Wäldern, nach Kennenlernen von Bäumen und Blumen, nach Besichtigen von Sehenswürdigkeiten am Geburtsort. Eine behagliche Lektion aus Kindertagen.
Info
Heimatkunde - 30 Künstler blicken auf Deutschland
16.09.2011 - 29.01.2012
täglich 10 bis 20 Uhr, montags bis 22 Uhr im Jüdischen Museum, Lindenstr. 9 - 14, Berlin
Katalog 24,90 €
Zahlenmystik und New-York-No-Wave
Davon hätte Gründungsdirektor Michael Blumenthal vor zehn Jahren wohl kaum zu träumen gewagt. Bei der Eröffnung 2001 wurde das exzentrische Gebäude von Star-Architekt Daniel Libeskind noch kritisch beäugt. Mit gezacktem Grundriss, stählerner Fassade, schrägen Fenster-Schlitzen und leeren «Void»-Kammern, die an die Shoah erinnern sollen, wirkte wie es wie ein städtebauliches Ausrufezeichen ohne Inhalt. Wie sollte dieses Haus ohne historische Judaica-Sammlung sinnvoll gefüllt werden?
Die Skepsis ist gewichen: Blumenthals US-Pragmatismus hat das JMB in Berlin fest etabliert. Es zeigt in seiner Dauerausstellung einen umfassenden Überblick über die Geschichte des Judentums in Deutschland – wo Originale fehlen, behilft es sich mit Faksimile. Mittlerweile mehr als 60 Sonderausstellungen haben hierzulande das Verständnis von jüdischer Kultur enorm erweitert: Parfümöre- und Bronzegießer-Dynastien, Speisevorschriften und Zahlenmystik, selbst die Free-Jazz- und No-Wave-Szene von New York – all das ist jüdisch.
Impressionen der Ausstellung; © holzerkobler
Zugleich sucht das Museum thematisch stets Anschluss an die übrige Gesellschaft. Wie mit der Heimatkunde-Schau: Sie liefert weder eine Nabelschau des mosaischen Glaubens, noch kocht sie die Leitkultur-Debatte der 1990er Jahre wieder auf, sondern inszeniert eine Selbstbefragung der multikulturellen Einwanderungs-Gesellschaft Bundesrepublik.
Herschel und Gretel grüßen
30 Künstler zeigen 26 Arbeiten zum Heimat-Begriff – alle Werke sind in den letzten zehn Jahren entstanden. Sie lassen sich auf keinen gemeinsamen Nenner bringen: Ansätze, Techniken und Perspektiven sind so radikal verschieden, wie es sich für ein 80-Millionen-Volk in der Mitte Europas geziemt. Vom ironischen Spiel mit Klischees über Spurensuche und Privat-Mythologie bis zu Agitprop ist ziemlich jede Haltung vertreten, die man gegenüber der Lebenswelt einnehmen kann.
Am Eingang begrüßen zwei mannshohe Spielfiguren von Victor Kégli die Passanten. «Herschel und Gretel» sind ein orthodoxer Jude und eine treudeutsche Maid wie aus dem Bilderbuch: Nach Einwurf einer Münze verbeugen sie sich voreinander. Hoffnungslos antiquiert wirkt das im Vergleich zum «Archiv der Populärkulturen», wo allerhand Treibgut des Alltags versammelt ist.