Kassel

Wiedereröffnung der Neuen Galerie

Loggia im Obergeschoss der Neuen Galerie; Foto: MHK / Werner Huthmacher
Endlich! Nach fünfjähriger Umbau-Pause ist die Neue Galerie in Kassel fertig renoviert: 2012 zeigt sie Teile der documenta, der weltgrößten Ausstellung von Gegenwartskunst. Die Sanierung wirkt gelungen; die Präsentation der Sammlung verwirrt.

Gratis-Hefte ersetzen Wandtexte

 

Allerdings dürften die Auftakträume den Besucher eher verwirren: Außer Durchgängen verbindet sie nichts miteinander. Zudem fehlen Wandtexte, damit nichts von der reinen Kunst-Anschauung ablenkt. Wer wissen will, was er sieht, soll in einem Gratis-Heft mit Werk-Beschreibungen nachschlagen.

 

Man muss also fleißig blättern, um zu verstehen, warum dahinter drei Künstlerräume für Werke von Wilhelm Lehmbruck, Joseph Beuys und Ulrike Grossarth – documenta-Teilnehmerin 1997 – folgen. Das widerspricht nicht nur der ansonsten chronologischen Hängung.

 

Beuys-Gedenkstätte für 70er-Jahre-Look

 

Ein Raum, den Beuys persönlich 1976 für seine Groß-Installation «Das Rudel» eingerichtet hat, blieb auch unverändert. Diese Hommage an den Hausheiligen mit etwas ranziger Patina wirkt wie eine Gedenkstätte für 70er-Jahre-Look, der im übrigen Haus restlos beseitigt wurde.

 

Überzeugender ist der Rundgang: In hellen Kabinetten kommen kleinteilige romantische oder Biedermeier-Gemälde von Ludwig Emil Grimm, Carl Spitzweg oder Ferdinand Georg Waldmüller ebenso zur Geltung wie Landschafts-Ansichten von Carl Rottmann und Johann Erdmann Hummel oder schwülstige Historien-Malerei von Hans Makart.

 

Prunkstücke von Corinth und Nay

 

Gut vertreten ist auch die klassische Moderne: mit Prunkstücken der Sammlung wie Hauptwerken der Impressionisten Max Slevogt und Lovis Corinth, beschwingten Abstraktionen von Willi Baumeister oder Farbexplosionen von Ernst Wilhelm Nay. Gleichfalls die Kunst der Nachkriegszeit, etwa Informel von Emil Schumacher und Karl Otto Götz – etwas dünner die 1960/70er Jahre mit Pop Art und Konzeptkunst.

 

Bis zur Wiederkehr der Ölmalerei bei «Neuen Wilden» der 1980er: Chaotisch bunte Riesenformate von Markus Lüpertz, Per Kirkeby oder Mimmo Paladino füllen die Wände. Dabei frönt Marianne Heinz insbesondere ihrer Leidenschaft für Farbfeldmalerei: von Piero Durazio und Rupprecht Geiger und bis zu Spätwerken von Pierre Soulages und Sean Scully.

 

Archiv für documenta-Ankäufe

 

Die Auswahl trägt erkennbar die Handschrift der langjährigen Leiterin, die seit 1984 bis Ende dieses Jahres amtiert. Sie dokumentiert anschaulich die Geschichte der documenta: von Strömungen und Moden, die sie geprägt haben. Seit 1982 erwirbt die Stadt Kassel nach jeder Groß-Ausstellung einige Werke – so wird diese Dauer-Schau zum Archiv vergangener Ankaufs-Entscheidungen.  

 

Das betrachtet Bernd Küster als Touristen-Attraktion: Der Direktor der Museumslandschaft sieht die Neue Galerie als Station in der Kasseler Museumsmeile, die 2016 bis zum Weinberg reichen soll. Auf diesem Hang am Rand der Innenstadt sind zwei Neubauten geplant: das Tapeten- und das Brüder-Grimm-Museum. Dann würde der Weg vom Fridericianum im Stadtzentrum – frühester Museumsbau auf dem europäischen Festland und alle fünf Jahre ein weiterer documenta-Standort – bis zum Museum für Sepulkralkultur verlaufen.

 

Nur vier Monate in neuem Glanz

Hintergrund

 

Lesen Sie hier die Rezension der Ausstellung "Schauspiel des Tatsächlichen" mit Katastrophen-Fotografie von Enrique Metinides im Kasseler Museum für Sepulkralkultur

 

und hier einen kultiversum-Bericht über die Einweihung der ersten Kunstwerks für die documenta 13: "Idee di Pietra" von Giuseppe Penone.

 

Es ist nicht nur Grabschmuck, sondern allen Zeugnissen des Umgangs mit dem Tod gewidmet. Der Parcours wäre also symbolisch aufgeladen: von einer Keimzelle des Museumswesens bis zur Heimstatt für die letzten Dinge. Für MHK-Chef Küster ist er vor allem ein schöner Spaziergang: An einem Nachmittag könnte man fünf Museen abschreiten – plus Abstecher in die Karlsaue zur Orangerie mit ihrem astronomisch-physikalischen Kabinett.

 

Ein ehrgeiziger Plan – ob er angesichts langer Kasseler Bauzeiten fristgerecht bis 2016 umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Beeilen muss sich jedenfalls, wer die Neue Galerie in ihrem neuen Glanz erleben will: In vier Monaten wird das Haus wieder halb ausgeräumt – für die documenta 13, die am 9. Juni 2012 beginnt.