
Daniel Düsentrieb der Filmbranche
Insbesondere Rybczyński glänzte mit kühnen Experimenten: Sein Kurzfilm «New Book» von 1975 unterteilt die Bildfläche in neun Felder, auf denen simultan verschiedene Episoden ablaufen. Im Nachfolger «Tango» von 1980 wimmeln in einem Raum Dutzende von Personen mithilfe von Blue-Screen-Technik gleichzeitig durcheinander. Die Herstellung des achtminütigen Films dauerte sieben Monate; 1983 wurde er mit einem Oscar ausgezeichnet.
Als Daniel Düsentrieb der Filmbranche erfand Rybczyński zahlreiche neue Aufnahme-Techniken: 1987 mischte er in «Steps» zeitgenössische Schauspieler unter das Personal aus Sergej Eisensteins Filmklassiker «Panzerkreuzer Potemkin» auf der Treppe von Odessa. Spätere Videos nahmen sämtliche Varianten von Morphing und Bildmanipulation am PC vorweg.
Zentralperspektive überwinden
Jeder seiner Filme verabschiedet die Illusion eines realen Raumes. Das Bild besteht nur aus Lichtpunkten, die beliebig veränderbar sind: laut Rybczyński der wahre Realismus, der die Grenzen der Zentralperspektive überwindet. Derzeit tüftelt er in seinem Breslauer «Studio Ideale» an einer Glaskugel-Linse, die ungeahnte Seh-Erfahrungen ermöglichen soll. So verblüffend seine Erfindungen wirken – ihre Erzählungen sind trivial. Rybczyński ist eher Bild-Ingenieur als Autoren-Filmer.
Im Gegensatz zu Gábor Bódy: Der Ungar bediente sich konventioneller Techniken, denen er völlig neue Bedeutungs-Ebenen verlieh. Er hatte Philosophie und Geschichte studiert, sich mit Linguistik und Semiotik beschäftigt, bevor er sich dem Film zuwandte. Sein schmales Werk – drei Kino-, drei TV-Filme, einige Videos und theoretische Schriften – ist gesättigt mit universaler Bildung.
Weltweit erstes Videokunst-Magazin
Bódy machte Video-Clips über Eurynome, eine mythologische Figur, die neuplatonische Lehre des Agrippa von Nettesheim, Lyrik von Novalis und Shakespeares Hamlet. Sein erfolgreichster Film «Narziss und Psyche» von 1980 begleitet zwei allegorische Charaktere vom Rokoko bis in die Nachkriegszeit. Welche Milchbubis und –mädchen, die heute ihre Filmhochschul-Abschlussarbeiten über Freunde oder Nazi-Opas drehen, wären dazu fähig?
Doch Bódy war kein esoterischer Eigenbrötler. Im Gegenteil: Bestens mit der zeitgenössischen Avantgarde-Szene vernetzt, gründete er 1980 das Videokunst-Magazin «Infermental». Jährlich erschienen Kassetten mit bis zu sechs Stunden Laufzeit und rund 100 Beiträgen von Filmemachern weltweit – ein Vorläufer von Youtube für den Video-Rekorder.
Demokratische Kommunikations-Euphorie
Video-Technik begrüßte Bódy als demokratisches Medium, das die hierarchischen Apparate von Kino- und Fernseh-Studios unterlief: Jeder konnte nun Filme herstellen, kopieren und vertreiben. Synästhetische Sinnes-Eindrücke sollten die rationale Linearität von Texten ablösen. Diese Kommunikations-Euphorie erinnert an die Anfänge des Internets.
Zwar übersah der hyperaktive Visionär, dass die meisten Menschen weder genügend Zeit noch Fähigkeiten oder Ideen haben, um Filme zu machen, und sie lieber passiv konsumieren. Doch die Impulse, die er gab, sind nach seinem frühen Tod kaum weiter ausgelotet worden. Welches Potential in ihnen steckt, macht die kundig kuratierte Ausstellung deutlich. Auf dass sich künftige Regie-Genies aus ihr Anregungen für ihre Meisterwerke von morgen holen.