Tanya Wexler

In guten Händen – Hysteria

Es ist ein Protoyp! Dr. Dalrymple (Jonathan Pryce) und Mortimer Granville (Hugh Dancy) mit dem ersten Vibrator. Foto: Senator
(Kinostart: 22.12.) Im prüden England der 1880er Jahre bahnt sich leise schnurrend die sexuelle Revolution an: Der Vibrator wird erfunden. Ihre proto-feministische Sittenkomödie garniert Regisseurin Wexler mit einer lieblichen Love Story.

Joseph Mortimer Granville (Hugh Dancy) hat einen Traum: Er will die Medizin revolutionieren, indem er beweist, dass Aderlässe sinnlos sind und die Bakterien-Theorie zutrifft. Dem jungen Arzt verschafft Dr. Robert Dalrymple (Jonathan Pryce), vermeintlicher Frauen-Spezialist und Hysterie-Experte, eine Stelle in seiner Praxis. Als Granville sich dann auch noch in des Doktors Tochter Emily (Felicity Jones) verliebt und beide ihre Verlobung planen, scheint das Glück perfekt.

 

Info

In guten Händen - Hysteria

 

Regie: Tanya Wexler, 100 min., Großbritannien 2011;
mit: Maggie Gyllenhaal, Hugh Dancy, Jonathan Pryce

 

Website zum Film


Die allmählich wegbröckelnden Geschlechter-Vorurteile bilden den Hintergrund für die Geschichte, die Regisseurin Tanya Wexler erzählt. Der Glaube an die Hysterie der Frau war bis Anfang des 20. Jahrhunderts weit verbreitet – sie zählte zu den am häufigsten diagnostizierten Nervenleiden. Abhilfe sollte eine Intim-Massage schaffen, die Patientinnen zum «hysterischen Paroxysmus», lies: Orgasmus, brachte und beruhigte – von Ärzten wie Doktor Dalrymple verschrieben und durchgeführt.

 

Platon empfahl Intim-Massage

 

Solche Massagen haben eine lange Tradition: Bereits in der Antike empfahlen Hippokrates und Platon sie zur Heilung von Hysterie. Später wurden die Patientinnen meist wöchentlich und bisweilen jahrelang manuell behandelt. Im gynäkologischen Stuhl durften sie sich in die Hände der Ärzte begeben, die sich hinter einem Samt-Vorhang sämtliche Reaktionen aufmerksam notierten – Lust-Schreie inbegriffen.


Offizieller Film-Trailer


 

Vibrator als Staubwedel-Innovation

 

Charlotte Dalrymple, die jüngere Tochter des Doktors, ist eine Gegnerin der hanebüchenen Hysterie-Theorie, nicht jedoch der bekömmlichen Massagen. Maggie Gyllenhaal verkörpert sie als gutherzige und selbstsichere Vorkämpferin des Feminismus, die dabei die Heiratspläne ihrer älteren Schwester Emily durchkreuzt.

 

Der Kontrast zwischen den beiden immer mutiger auftretenden Londonerinnen und den von Vorurteilen geprägten Männern in ihrer Umgebung verleiht dem Film seinen Charme. Voller Ironie beobachtet er die Naivität eines Mannes, der seinen treuen Dauerpatientinnen den Tag versüßt. Granvilles (auf)rüttelnde Erfindung ist der Höhepunkt: ein transportabler Vibrator. Seine Inspirationsquellen: ein mechanischer Staubwedel und eine steif gewordene Hand.

 

Gemütliches Armenhaus

 

«In guten Händen» fängt diese Epoche des Wandels in Sexual-Forschung und -Verständnis mit viel Witz ein. So ist Emily eine überzeugte Anhängerin der so genannten Phrenologie und meint, den Charakter eines Menschen an seiner Schädelform erkennen zu können. Dafür verspottet sie Granville, der wiederum den Hysterie-Vorstellungen seines Chefs Glauben schenkt.

 

Augenzwinkernd spielt der Film mit den Vorlieben und Schwächen beider Geschlechter – das ist seine Stärke. Dennoch fehlt es ihm an Überraschungen, obwohl er seine anzügliche Thematik erfrischend leicht und unverklemmt behandelt. Die Inszenierung bleibt allzu glatt und schnörkellos. Wenn selbst das Armenhaus eher einer gemütlichen Wohnstube gleicht, dann wirkt die Welt auf der Leinwand ein wenig zu perfekt – und nah am Kitsch.