Berlin

The Ruins of Detroit

Eine Tropfstein-Höhle für die Filmkunst: United Artists Theater, 1928 im "Spanish Gothic Style" eröffnet. Foto: Kühlhaus Berlin/ Marchand+Meffre
Monumentaler als die Pyramiden, das Kolosseum oder die Akropolis: Yves Marchand und Romain Meffre lichten das tote Herz von Detroit in malerischen Panoramen ab. Das «Kühlhaus Berlin» zeigt Ruinen-Romantik im XXL-Format.

Abbruch-Ästhetik der Nachkriegszeit

 

Eine Auswahl daraus wird nun im «Kühlhaus Berlin» ausgestellt. Das neue Kultur-Zentrum ist selbst eine Ruine: Wo bis 1978 Lebensmittel gelagert wurden, empfangen heute rohe Backstein-Mauern und eine provisorische Heißluft-Heizung die Besucher. Über der Bühne in der ersten Etage entstanden Emporen, indem im zweiten und dritten Geschoss teilweise die Decken herausgerissen wurden. Ansonsten herrscht Abbruch-Ästhetik der Nachkriegszeit.

 

Besser geeignete Räume für die Fotos von Marchand und Meffre sind kaum denkbar. Das Duo näherte sich 2005 Detroit aus der historischen Vogel-Perspektive: «Seine herrlich verfallenden Denkmäler sind, nicht weniger als die Pyramiden in Ägypten, das römische Kolosseum oder die Athener Akropolis, Überbleibsel eines untergegangenen großen Imperiums», kommentieren sie ihre Dokumentation.

 

No future war vorgestern

 

Hintergrund

Website von Yves Marchand + Romain Meffre zu "The Ruins of Detroit".

 

Lesen Sie hier einen Beitrag zur Foto-Ausstellung "Oil" von Edward Burtynsky mit Aufnahmen der Erdöl-Industrie in der Galerie C/O Berlin, Berlin

 

und hier eine Rezension des Dokumentarfilms "The Black Power Mixtape" über Unruhen in US-Städten 1965 - 1975

 

und hier eine Besprechung des 4. Fotofestivals in der Rhein-Neckar-Region mit der Abteilung "Ökologische Kreisläufe" im Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen

 

und hier einen Beitrag zur Foto-Ausstellung "Nadav Kander: Yangtze – The Long River & Robert Polidori: Pripyat and Chernobyl" mit Bildern von Umwelt-Katastrophen in China + der Ukraine in der Galerie Camerawork, Berlin.

Als Archäologen des Maschinen-Zeitalters rücken sie deren Kathedralen in den Fluchtpunkt: Panorama-Ansichten, Zentralperspektive und Totalen lassen die menschenleeren Bauten so abweisend und monumental wie möglich erscheinen. Durch diese Bilder scheint ein Eiseshauch der Weltgeschichte zu fegen; er raunt von Hybris und Nemesis, von prometheischem Streben und Vergeblichkeit.

 

In Berlin wird das frostige Pathos der Aufnahmen sicher Anklang finden – seit ihrer Teilung lebt die ganze Stadt davon. Fragt sich nur, ob die Untergangs-Sehnsucht im XXL-Format ihre Blütezeit nicht ebenfalls längst hinter sich hat: No future war vorgestern. Genauer: von Ende der 1970er Jahre bis zum Mauerfall, als die «Einstürzenden Neubauten» mit Kettensäge und Presslufthammer musizierten und «Neue Wilde» täglich eine Apokalypse auf die Leinwand pinselten.

 

Kein Fortschritt im Rost-Gürtel

 

Aktueller wirken die Ansichten der ukrainischen Geisterstadt Pripjat seit der Evakuierung nach dem Super-GAU in Tschernobyl, die Robert Polidori dort eingefangen hat: Sowjet-trash, schockgefroren. Oder Bildreportagen von Nadav Kander aus Chinas Wirtschafts-Metropolen: monströse Beton-Meere, in Abgasen erstickend.

 

Oder Edvard Burtynskys Foto-Dokumentation der Petrol-Industrie: von der Erdöl-Förderung bis zu Auto-Schrotthalden ein einziger Friedhof, doch quicklebendig. Aber der «Rost-Gürtel» der USA ist schon lange kein Motor des Fortschritts mehr.