Marjane Satrapi

Geschichte vor den Atomwaffen

Marjane Satrapi. Foto: Rama/ Wikipedia
Eine Kindheit im Iran als Schwarzweiß-Comic: Mit «Persepolis» wurde Marjane Satrapi weltbekannt. Ihr zweiter Film «Huhn mit Pflaumen» handelt von der unglücklichen Liebe eines Geigers im Teheran der 1950er Jahre. Ein Gespräch.

Multikulti ist kein Desaster

 

Wollen Sie mit Ihrem Schaffen zeigen, dass im Iran mehr zu finden ist als eine klischeehafte Skizze der bösen Atom-Macht?

 

Der Iran hat eine Geschichte, die vor den Atomwaffen beginnt. Müssen Iraner Filme über die Revolution machen und Israelis Filme über den Gaza-Streifen? Kein Deutscher muss nur Filme über den Zweiten Weltkrieg machen. Dieses Recht haben wir auch. Ich will eine Brücke bauen und zeigen, dass wir einander vielmehr ähneln, als dass wir uns unterscheiden. Im deutschen Studio Babelsberg einen französischen Film über den Iran mit Schauspielern aus Portugal, Italien, Iran und Frankreich zu drehen, zeigt, dass Multikulti kein Desaster ist.

 

Seit zwölf Jahren nicht mehr im Iran

 

Wie beurteilen Sie die Situation im Iran heute?

 

Ich bin die falsche Person, um darüber zu sprechen. Ich war seit zwölf Jahren nicht mehr dort. Auch «Persepolis» endete an dem Punkt, an dem ich den Iran verließ. Jede Information, über die ich verfüge, stammt aus zweiter Hand. Meine Vorstellung vom Iran ist von Nostalgie geprägt und nicht real. Meine Perspektive auf den heutigen Iran behalte ich für mich.

 

Vorbild Lubitsch

 

Ist es eine Pflicht der Kunst, das Denken der Menschen zu verändern?

 

Nein, die Kunst hat keine Pflichten. Kunst ist Kunst. Nehmen wir das goldene Zeitalter des US-amerikanischen Kinos: Da drehten Leute wie Lubitsch, Billy Wilder oder Hitchcock. Menschen, die keine Amerikaner waren, sondern dorthin kamen, um Filme zu machen. Lubitsch zum Beispiel, der mein Vorbild ist, mit dem ich mich nie vergleichen würde, drehte amerikanische Filme mit osteuropäischem Esprit. Seine Komödie «Shop Around The Corner» («Rendezvous nach Ladenschluss») spielt in Budapest. Mit amerikanischen Schauspielern und osteuropäischem Humor. Wir müssen die Grenzen überwinden. Es muss nicht mehr jeder Deutsche im Film Schmidt heißen, oder jeder Franzose Jean-Claude. 

 

An unbekannte Orte mitnehmen

 

Sie arbeiten erneut mit Vincent Paronnaud. Wie profitieren Sie voneinander?

 

Wir sind komplett unterschiedlich. Deshalb arbeiten wir zusammen. Aber in den großen Fragen, was die Wahrnehmung von Kunst oder der Gesellschaft angeht, denken wir ähnlich. Wir nehmen uns gegenseitig mit an Orte, die wir ohne den anderen nicht erreichen würden. Am Set sind die Aufgaben verteilt. Er kümmert sich eher um die Kamera, während ich mit den Darstellern arbeite – aber gleichzeitig haben wir eine genaue Vorstellung von dem, was der andere gerade tut.

 

Wir werden sicherlich wieder zusammenarbeiten, aber wir werden auch ganz sicher Projekte ohne den anderen verwirklichen. Wir sind nicht die Coen-Brüder oder die Dardennes. Er ist Franzose, ich bin Iranerin, er ist ein Mann, ich eine Frau. Wir sind unterschiedlich, aber es ist sehr aufregend mit ihm zu arbeiten.

 

Jeder erwartete «Persepolis 2»

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension von "Huhn mit Pflaumen"

 

und hier ein Interview mit dem von Haft bedrohten Regisseur Mohammad Rasoulof über Filmemachen im Iran

 

und hier eine Besprechung des Dokumentarfilms "Im Bazar der Geschlechter" über die Zeit-Ehe im Iran von Subadeh Mortezai

 

und hier einen Beitrag über den Berlinale-Gewinner "Nader und Simin - Eine Trennung" von Ashgar Farhadi

 

und hier einen kultiversum-Artikel über den Film "Zeit des Zorns - Shekarchi" des iranisch-britischen Regisseurs Rafi Pitts.


Haben Ihnen die zahlreichen Auszeichnungen als Filmemacherin geholfen, die Sie für «Persepolis» erhielten?

 

Kein bisschen. Wir dachten, die Preise und die Oscar-Nominierung würden uns helfen, aber im Gegenteil: Jeder erwartete den nächsten Animationsfilm in Schwarzweiß von uns. Ein «Persepolis 2». Als wir die Idee einer Liebesgeschichte entwickelten, die in einem Studio gedreht werden sollte, fragte jeder: warum? Es wäre deutlich einfacher gewesen, einen weiteren Animationsfilm zu machen, aber es ist nicht sehr interessant, immer das Gleiche zu wiederholen. Ich möchte neue Erfahrungen machen. Beim nächsten Projekt werde ich wieder bei Null anfangen. Darauf bin ich vorbereitet.

 

Dritter Film über Großmutter

 

Sie sehen Ihre beiden Filme als Teil einer Trilogie. Wovon wird der dritte Film handeln?

 

Er dreht sich um meine Großmutter, die aus ihrem Elternhaus abgehauen ist, um den Mann zu heiraten, den sie liebte. Später wurde sie Lehrerin. Aber das Skript muss erst noch geschrieben werden. In der Zwischenzeit werde ich jedoch ein anderes Projekt übernehmen.

 

Also ein Buch von jemand anderem verfilmen?

 

Ja; das ist neu für mich. Ich werde einen anderen Teil meines Hirns nutzen müssen. Vielleicht endet es in einer Katastrophe – aber ich versuche es.